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Heike Eva Schmidt

Heike Eva Schmidt

Titel: Heike Eva Schmidt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Purpurmond
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leuchteten silbrig weiße Sterne auf, wie die Lämpchen einer Lichterkette.
    Unwillkürlich musste ich an die Geschichte vom »kleinen Prinzen« denken, die meine Mutter mir eine Zeitlang immer und immer wieder hatte vorlesen müssen. Damals hatte ich die Vorstellung, einen Freund auf einem Stern zu haben, wunderschön gefunden.
    Beim Gedanken an meine Mutter überfiel mich ein heftiges Heimweh, schlimmer noch als der pochende Schmerz in meinem Bein. Die Kehle wurde mir eng, und ich fühlte mich, als habe sich ein Sumoringer direkt auf meinen Brustkorb gesetzt. Das Gefühl war so tief und verzweifelt, dass ich nicht einmal weinen konnte. Ich vergrub den Kopf in den Händen und wünschte, ich könnte die Zeit zurückdrehen – bis exakt zu dem Punkt, an dem ich mit meiner dämlichen Chipstüte vor der morschen Tür des Drudenhauses gestanden hatte.
    Zum Teufel mit Sina, dachte ich in einer Aufwallung von Wut, die wie ein grellorangener Ball in meinem Kopf explodierte. Zum Teufel mit Bamberg und zum Teufel mit …
    »Was ist mit Euch, junger Herr?«, unterbrach eine helle Stimme meine gedankliche Hasstirade.
    Verblüfft hob ich den Kopf. Vor mir stand das schönste Mädchen, das ich je gesehen hatte. In ihrem ebenmäßigen Gesicht, das die Farbe der Elfenbeintasten unseres alten Klaviers hatte, leuchteten zwei große, blaue Augen. Allerdings war ihre Iris nicht wässrigblau, sondern indigofarben wie die Blütenblätter von Anemonen. Lange, dunkle Wimpern, für die ich alles gegeben hätte, betonten ihren ausdrucksvollen Blick. Der Mund war fein gezeichnet und perfekt geschwungen. Lange Locken fielen ihr bis auf die Mitte des Rückens. Ihr Haar hätte man als »rötlich« bezeichnen können, aber im Gegensatz zu meinem Karottenschopf leuchtete es in einem Ton, der an kostbaren Goldschmuck im Schein von Kaminfeuer erinnerte.
    Worum ich sie spontan am meisten beneidete: Dieses Mädchen hatte eine Taille! Und mindestens Körbchengröße C. Ganz im Gegensatz zu mir. Mich konnte man bestenfalls als »androgyn« bezeichnen. Meist wurden Mädchen mit meiner Figur aber schlicht »Bohnenstange« genannt.
    Ich starrte sie mit offenem Mund an. Mein erster Gedanke war: Heidi Klum kann mitsamt ihren geföhnten Möchtegernmodels einpacken. Und der zweite: Warum, verflixt noch mal, ist die Natur immer so ungerecht?
    »Junger Herr? Seid Ihr wohlauf?«
    Ihre besorgte Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Zuerst war ich verwirrt, dann fiel mir ein, dass ich ja Jungenkleidung trug. Logisch, dass sie mich dann auch für einen hielt. Oder besser: Zum Glück, denn das bedeutete, dass meine Tarnung funktionierte.
    »Äh, ja, ich bin okay, danke«, stammelte ich.
    Ein Ausdruck der Verwirrung huschte über ihr Gesicht, und sie blickte mich befremdet an. Erschrocken wurde mir meine Ausdrucksweise bewusst: »Okay« dürfte im 17. Jahrhundert wohl kaum eine passende Zustandsbeschreibung gewesen sein. Ich räusperte mich.
    »Ich bin wohlauf, habt vielen Dank«, sagte ich und kam mir sofort ultrablöd vor. Doch anscheinend hatte ich den richtigen Ton getroffen, denn ihr Gesicht entspannte sich und sie lächelte zaghaft. Als ihr Blick zu meinen Füßen glitt, wich ihr Lächeln einem Ausdruck der Bestürzung. Sie deutete auf mein rechtes Hosenbein, auf dessen hellem Leinen sich ein immer größer werdender, rotbrauner Fleck abzeichnete. Unter dem Saum tropfte immer noch frisches Blut hervor.
    »Ihr seid verletzt!«, rief sie.
    Ich nickte, denn an dieser Tatsache gab es nichts zu rütteln.
    »Kommt mit, ich werde Euch etwas geben, das die Blutung stillt und den Schmerz hinfortnimmt«, sagte das Mädchen.
    Ich rappelte mich hoch. Das vertraute Brennen schoss mir wie eine Feuerzunge ins Bein, und mit zusammengebissenen Zähnen blieb ich vornübergebeugt stehen. »Shit, tut das weh«, rutschte mir heraus.
    Da spürte ich ihre kühle Hand an meinem Ellenbogen. Humpelnd und von ihr gestützt, gelang es mir immerhin, etwa 300 Meter zurückzulegen, bis wir zu einem einfachen Haus mit einem strohgedeckten Dach kamen. Mit einem großen Messingschlüssel öffnete das Mädchen die Tür und führte mich behutsam in die Mitte des Raums, wo sie mich auf einen einfachen Hocker ohne Lehne drückte. Ich war heilfroh, denn lange hätte ich nicht mehr laufen können. Mein Bein schmerzte höllisch, und das stetig laufende Blut tat sein Übriges, dass mein Mageninhalt beinahe wieder retour kam. Ich schloss die Augen und versuchte mich in dem Mantra »Ich werde mich nicht

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