Heike Eva Schmidt
aber ich schwöre bei meinem Leben, es ist wahr. Ähm, also, du hast ja wahrscheinlich gemerkt, dass ich anders bin als … du und die übrigen Leute hier …«, stotterte ich und stockte. Ich wusste nicht, wie ich weitermachen sollte. Sie sah mich mit milder Neugierde an, und ich holte tief Luft. »Dass ich manchmal so komisch rede, kommt daher, weil … also, ich bin nicht von hier.«
Dorothea nickte, hatte die Augenbrauen aber immer noch fragend hochgezogen. Kein Wunder. Ich kam nicht zum Punkt, sondern schlich darum herum wie die Katze um die verbotene Sahneschüssel. Aber ich musste es hinter mich bringen.
»Um ehrlich zu sein, ich bin 300 Jahre nach dir geboren worden. Was ich damit sagen will, ich komme aus der Zukunft. Um genau zu sein, aus dem Jahr 2012.« So, jetzt war es raus.
Dorothea trat einen Schritt zurück und musterte mich befremdet: »Ist dir nicht wohl, Cat? Hast du Fieber?«, fragte sie besorgt und wollte schon die Hand ausstrecken, um meine Stirn zu fühlen. Ich schüttelte hastig den Kopf.
»Nein, Dorothea, glaub mir, ich bin völlig gesund. Irgendwie, auf unerklärliche Weise, kann ich durch die Zeit reisen. Frag mich nicht, wie das möglich ist, ich weiß es selbst nicht. Aber ich kann zum Beispiel vorhersagen, dass der Dreißigjährige Krieg, der gerade in Europa herrscht, noch 18 Jahre dauern wird. Die Schweden werden kommen und Bamberg erobern. Der bayerische Kurfürst wird die Stadt zurückgewinnen, aber es wird einige Zeit dauern, bis Bamberg sich von der Besatzung erholt …«
Während ich mit meinem Geschichtswissen aufwartete, war ich meinen Eltern insgeheim dafür dankbar, dass sie mich kurz nach unserem Umzug zu dieser Stadtführung quer durch Bamberg mitgeschleppt hatten. Ein paar Details waren immerhin hängengeblieben. Dorotheas Augen waren während meiner Ausführungen immer größer geworden, und ich stockte. Hoffentlich hatte ich ihr keine Angst eingejagt, so dass sie gleich laut schreiend davonrennen würde. Doch ihre Stimme klang eher gespannt als ängstlich.
»Du lebst in der Zukunft? Wie ist es dort? Trägst du die gleiche Kleidung wie hier?«
Ich schüttelte den Kopf und zuckte die Schultern. Wo sollte ich anfangen? Dass die Mädchen inzwischen ganz selbstverständlich in Hosen und flachen Schuhen herumliefen oder dass es ein Kleidungsstück namens »Jeans« gab? Ich hätte Dorothea gerne alles erzählt: Über Musik, angefangen bei Mozart, den Stones bis hin zu Rap. Über Coffeeshops und iPods, Computer, E-Mail und Handy. Aber wie hätte sie das verstehen sollen? Nicht weil sie schwer von Begriff war, sondern weil ich drei Jahrhunderte Geschichte nicht einfach in ein paar Sätze packen konnte. Also versuchte ich, ihr wenigstens unsere Kleidung so gut wie möglich zu beschreiben. Als ich ihr meine inzwischen furchtbar schäbig aussehenden Chucks zeigte, das einzige Relikt aus der Zukunft, das ich am Leib trug, musste Dorothea kichern.
»Aber solch ein Schuhwerk schmückt eine Frau doch nicht, Cat«, rief sie.
»Aber es ist bequem, und du kannst damit verdammt schnell laufen«, erwiderte ich ernsthaft, während ich mir den Schuh wieder überstreifte, und dann kicherten wir beide.
»Woher weißt du von der Geschichte Bambergs? Steht sie in einem Buch geschrieben?«, wollte sie gleich darauf wissen.
»Ähm, ja, so ähnlich. Das Ding heißt ›Wikipedia‹ und weiß so ziemlich alles aus der Vergangenheit«, probierte ich es mit einer halbwegs plausiblen Erklärung.
Dorothea schüttelte verwundert den Kopf. »Wie gerne würde ich das einmal sehen.« Zwischen ihren Brauen bildete sich eine steile Falte. »Aber … Wieso gerade du, Cat? Was macht es dir möglich, dich durch die Zeit zu bewegen?«
Oh Mann, dachte ich, jetzt sind wir also am ›point of no return‹. Ich kratzte mich ratlos am Kopf. »Tja, also, das ist eine lange Geschichte. Ich habe in einem Keller etwas gefunden, ein altes Schriftstück aus dieser Zeit, und … na ja, seitdem kann ich mich zwischen den Zeiten bewegen«, erklärte ich. Das mit dem eventuell todbringenden Halsreif und dem Fluch wollte ich ihr erst später stecken, die ganze Sache hätte sie sonst wahrscheinlich zu sehr geflasht.
Dorothea runzelte erneut die Stirn und schien nachzudenken. »Wir haben uns nun schon zweimal gesehen«, sagte sie dann langsam. »Das erste Mal fand ich dich verletzt. Und heute bist du hier im Kloster. War das Willkür oder hast du mich gesucht?«
Ich brachte es nicht übers Herz, ihr von dem Hexenprozess
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