Heike Eva Schmidt
auf dem Marktplatz, als er, ohne mit der Wimper zu zucken, drei Unschuldige in den Tod geschickt hatte, und dann im Haus von Dorothea, deren Angst er sichtlich genossen hatte. Der Typ war ein Sadist. Einer von der Sorte, der einen hübschen bunten Schmetterling bei lebendigem Leib aufspießte. Schönheit zog den hässlichen Mann mit dem abscheulichen Charakter magisch an. Auch Dorothea musste er besitzen. Gleichzeitig ertrug er ihre Anmut nicht und wollte sie zerstören, bis sie nur noch eine starre, leblose Hülle war. Ohne Seele, aber ihm zu Willen. Nur, um zu beweisen, dass er alles haben konnte, was er begehrte. Nicht auszudenken, wenn Förg herausbekam, dass Dorothea schutzlos irgendwo in Bamberg herumirrte!
Am liebsten wäre ich sofort wieder ins 17. Jahrhundert gereist. Die passenden Klamotten trug ich ja noch, auch wenn ich in meinem frühbarocken Outfit neben der Hightech-Espressomaschine sicher aussah wie Kaspar Hauser bei einem Besuch im Media Markt. Aber mir ging es momentan derart mies, dass ich erst einmal wieder auf die Beine kommen musste. Und dann brauchte ich unbedingt einen Plan, wie ich Dorothea finden und doch noch retten konnte – und mich dazu. Verflixtes Pech, dass solche nützlichen Dinge wie Pfefferspray im purpurschwarzen Zeitstrudel zerstört wurden. Damit hatte ich keinerlei Möglichkeit, eine moderne Waffe ins 17. Jahrhundert mitzunehmen.
»Ach, und was hättest du andernfalls gemacht? Dir bei einem Bamberger Kleinstadtdealer ’ne Automatikpistole besorgt?«, hörte ich eine spöttische Stimme in meinem Kopf fragen.
»Ach, halt die Klappe! Einen Elektroschocker hätte ich schon irgendwoher gekriegt«, hörte ich mich laut antworten. Jetzt fing ich schon an, mit einer imaginären Stimme zu kommunizieren. Meine Nerven schienen kurz davor, zu reißen, wie die maroden Saiten einer alten Geige. Als ich tief durchatmen wollte, merkte ich, wie schwer mir das Luftholen fiel. Erschrocken schnellte meine Hand an meinen Hals. Der Kupferreif war noch da, doch er schien schon wieder enger geworden zu sein. Als ich versuchsweise den kleinen Finger zwischen Metall und Haut schieben wollte, ging es nicht mehr. Der Schmuck lag wie eine zweite Haut an und drückte auf meinen Kehlkopf. Zwei Millimeter enger, und ich würde kaum mehr atmen können. Angst bohrte sich in mein Herz. Ich hatte keine Zeit zu verlieren, ich musste sofort zurück. Doch als ich in mein Zimmer stürmte und mit zitternden Händen nach dem ledernen Schriftstück suchte – meiner »Fahrkarte« für die Reise ins 17. Jahrhundert –, war es mal wieder unauffindbar. Sein Verschwinden und Wiederauftauchen an verschiedenen Stellen schien zu meinen Zeitreisen dazuzugehören, quasi als kleine fiese Dreingabe zum Fluch. Und als wäre es mir nicht schon blümerant genug, machte sich zu allem Überfluss auch noch ein beunruhigender Gedanke in meinem Kopf breit: Was wäre, wenn das Schriftstück unauffindbar bliebe und ich nie wieder ins 17. Jahrhundert zurückkönnte? Panisch durchwühlte ich meine Cargohose, in der ich das Lederstück das letzte Mal gefunden hatte, als das Telefon klingelte. In Gedanken, anno 1630, konnte ich es einen Augenblick lang nicht zuordnen, so fremd kam mir die mechanische Tonfolge vor. Erst nach dem vierten Läuten schaffte ich es, den Hörer in die Hand zu nehmen und auf die Annahmetaste zu drücken. Mein »Hallo« kam offenbar ziemlich verkrächzt, denn ich konnte die Besorgnis in der Stimme meiner Mutter sogar über den Atlantik hinweg hören.
»Cat-Schatz, alles in Ordnung bei dir?«
»Alles bestens«, antwortete ich und versuchte, möglichst lässig zu klingen. Obwohl ich am liebsten herausgeplatzt wäre: »Weißt du, Mam, ich trage seit eurer Abreise ein Halsband, das eine Hexe vor 300 Jahren verflucht hat. Deswegen lande ich immer mal wieder in der Zeit um 1630. Na ja, und da gibt es noch dieses Mädchen, das ich kennengelernt habe. Sie ist total nett, wird aber leider in Kürze als Hexe angeklagt und auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Und dann wird mich wahrscheinlich auch der verfluchte Halsreif erwürgen. Und das alles, weil ich mich einmal bemüht habe, gesellig zu sein, und auf eine verdammte Klassenparty gegangen bin.«
Logisch, dass ich die Wahrheit für mich behielt. Stattdessen sagte ich nur, dass es mir gut ginge (bis auf die Tatsache, dass ich kaum Luft kriegte) und ich fleißig Bamberg erkundete. Immerhin konnte ich wahrheitsgemäß berichten, dass mich vor allem das Kloster Michaelsberg
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