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Heike Eva Schmidt

Heike Eva Schmidt

Titel: Heike Eva Schmidt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Purpurmond
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und sprach mit jemandem, den ich nicht sehen konnte. Die Person musste sich direkt hinter dem dicken Baumstamm befinden.
    »Aber du kannst doch nichts dafür«, hörte ich Dorothea leise sagen. Als Antwort erklang nur ein undeutliches Murmeln. Die Tonlage war eindeutig tiefer, woraus ich schloss, dass es sich um einen Mann handeln musste. Jakob?, dachte ich und spürte zu meinem Ärger, wie mein Herz ein paar schnelle, unregelmäßige Schläge tat, als wäre es in vollem Lauf über einen Stein gestolpert.
    Dorotheas Gegenüber trat einen Schritt aus dem Schatten. Obwohl der Mann einen weichen Filzhut mit breiter Krempe trug, erkannte ich, dass es sich nicht um Jakob handelte. Zwar war der Fremde ebenfalls schlank, aber in den Schultern etwas breiter als Dorotheas Bruder. Auch war sein Haar länger und hatte eher die Farbe von Kastanien anstatt des dunklen Glanzes von Rabengefieder. Und plötzlich wusste ich, wer der Mann war: Daniel, Dorotheas große Liebe. Der Sohn von Richter Förg. Deswegen also hatte sie das Abendgebet in der Kapelle geschwänzt! Sie hatte ein heimliches Date! Ich wollte mich schon taktvoll verdrücken, als ich sie laut aufschluchzen hörte. Erschrocken blieb ich stehen, wie festgefroren durch den Schmerz, der aus ihrer Stimme klang.
    »Aber … das kannst du nicht. Du darfst mich nicht alleinelassen, Daniel«, rief sie.
    Mit einer heftigen Handbewegung wischte sie sich über die Augen. Der Mann antwortete etwas, das ich wieder nicht verstehen konnte. Dafür klang Dorotheas verzweifelter Schrei umso lauter durch die klare Abendluft:
    »Nein, nein!« Weinend warf sie sich gegen seine Brust. Doch anstatt sie an sich zu ziehen, hielt Daniel ihre Hände fest und schob sie sanft, aber bestimmt von sich. Seine nächsten Worte waren deutlich zu hören.
    »Ich habe nur Unglück über dich gebracht. Daher ist es besser so, glaube mir.« Damit ließ er Dorothea los und wandte sich ab. Mit langen Schritten ging er davon, taub für ihre Stimme, die noch einmal seinen Namen rief.
    Die Hände vors Gesicht geschlagen, sank sie in die Knie. Ich war in zwei Sprüngen bei ihr.
    »Dorothea! Hey … ich bin’s, Cat«, rief ich leise. Sie hob ihr tränenüberströmtes Gesicht, und ihre anemonenblauen Augen starrten mich blind an, ohne mich zu erkennen. Schließlich blinzelte sie, als würde sie aus einem schlimmen Traum aufwachen.
    »Cat. Du bist hier …«, flüsterte sie heiser.
    Ich nickte stumm.
    Ihre Tränen flossen erneut. »Daniel … er hat … er hat mich verlassen«, stammelte sie, und ein verzweifeltes Weinen schüttelte ihren ganzen Körper. Ohne nachzudenken, hockte ich mich vor sie hin und nahm sie in den Arm.
    »Komm schon, Süße, das wird schon wieder«, murmelte ich tröstend, doch ihr Schmerz, klaftertief und undurchdringlich wie ein schwarzer Brunnenschacht, machte mich hilflos. Nur langsam gelang es mir, sie zu beruhigen, und schließlich erfuhr ich die ganze Geschichte. Vom Besuch des Richters bei Dorotheas alter Nachbarin. Von seiner Wut über den falschen Liebestrank, die er an deren Katze ausgelassen hatte. Und schließlich Dorotheas Flucht ins Kloster, die sie mit Hilfe von Daniel bewerkstelligt hatte.
    Ich fragte Dorothea, warum er nicht mit ihr zusammen geflohen war – irgendwohin, wo sie keiner kannte. Mir war klar, dass das zu dieser Zeit nicht leicht gewesen sein dürfte. Schließlich konnten die beiden nicht einfach ihre Kreditkarten zücken, in den nächsten Flieger nach Ibiza steigen und dort zusammen eine Strandbar eröffnen. Trotzdem musste es doch einen Weg geben! Aber Dorothea schüttelte den Kopf.
    »Daniel wäre ein Verstoßener, Cat. Mittellos und von seinem Vater für vogelfrei erklärt. Damit hat der Richter ihm nämlich gedroht. Und dass er uns finden würde, wo immer wir uns auch verstecken sollten.«
    Nun war mir klar, warum Dorotheas einzige Zuflucht der Salesianerinnen-Orden gewesen war. Doch wie schrecklich die ersten Tage für sie gewesen sein mussten, konnte ich mir erst vorstellen, als sie mir erzählte, wie man mit den neuen Anwärterinnen umzugehen pflegte.
    »Fünf Tage sperrte man mich in eine fensterlose Zelle, in der nur ein Stuhl stand. Alles was ich hatte, war mein schlichtes Gewand und ein Rosenkranz. Einmal am Tag bekam ich etwas Wasser durch eine schmale Luke gereicht. Niemand sprach mit mir, niemand hörte mich, wenn ich weinte. Zum Schluss wusste ich nicht mehr, wann es Tag war und wann Nacht«, berichtete Dorothea mit stockender Stimme.
    Mir fiel vor

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