Heike Eva Schmidt
einfach, in dem Gewirr aus Namen und Daten durchzublicken, und ich kam mir vor wie der olle Theseus, der sich im antiken Griechenland stundenlang durch ein Labyrinth hatte quälen müssen, bis er endlich den Minotaurus gefunden hatte.
Trotzdem war ich fasziniert von all den aufgelisteten Menschen, die irgendwie mit mir verwandt waren. Zeile für Zeile, Ast für Ast las ich mich von der Baumkrone zu den Wurzeln. Insgeheim bewunderte ich meinen Vater für die Hartnäckigkeit, mit der er seine Familienvergangenheit wie ein Mosaik zusammengesetzt hatte. Seine Nachforschungen reichten bis – ich scrollte bis zu den untersten Ästen des Stammbaums – 1577. In diesem Jahr war der erste hier erfasste Vorfahre geboren. Doch als ich seinen Namen las, war es, als würde mich hinterrücks ein riesiger Hund anspringen. Der Schock fuhr mir in alle Glieder und ließ mich wie gelähmt auf den Stammbaum starren. Ganz links unten stand: »Friedrich Förg«.
»Es ist ein Fluch des Blutes«, murmelte Margret Hahn. »Deshalb war es mir nicht möglich, ihn zu lösen!«
Ich war so schnell zu der alten Bambergerin geradelt, als würde mein Bikesattel brennen. Kaum hatte sie die Tür geöffnet, war auch schon meine Entdeckung aus mir herausgesprudelt: dass ich den Stammbaum meines Vaters gefunden hatte und offenbar in direkter Linie mit dem grausamen Hexenrichter von Bamberg verwandt war.
»Fluch des Blutes … Was bedeutet das?«, fragte ich ungeduldig. Denn was nützte es mir, wenn ich die Art des Fluchs kannte, aber nicht wusste, wie ich ihn lösen konnte? Das war ungefähr so, als würde man bei einer Hotline anrufen, weil der Laptop abgestürzt war, und am anderen Ende würde man zur Antwort bekommen: »Ach, das ist eine Defragmentierung Ihres RAM-Diagnosetools bei gleichzeitig defekten Treiberupdates von Slim Beta!«
Ich musste wohl ziemlich belämmert aus der Wäsche geguckt haben, denn die alte Frau drückte mir mitfühlend die Hand.
»Der Fluch trifft offenbar nicht allein denjenigen, für den er bestimmt war, sondern auch dessen Nachfahren. Die Linie des Blutes dauert fort, das heißt, der Zauber kann noch Generationen später wirken, verstehst du?«
Ich nickte kraftlos. Anscheinend hatte ich gleich doppelt die Loserkarte gezogen: Nicht genug damit, dass ich eine Nachfahrin Förgs war, 300 Jahre später musste auch noch ausgerechnet ich ins Drudenhaus kommen und diesen vermaledeiten Schmuck finden. Als hätte er die ganze Zeit dort im Verlies gelegen und nur darauf gewartet, seinen unseligen Zweck zu erfüllen …
Eine Gänsehaut überzog meine Arme, so dass es aussah, als hätte ich Reiskörner unter der Haut. Langsam begriff ich, dass ich nur eine Wahl hatte. Wenn Dorothea nicht hinter den Klostermauern Schutz finden konnte, musste ich Förg ausschalten. Und ihn daran hindern, das Urteil über Dorothea und ihre Mitangeklagte zu vollstrecken. Aber wie sollte ich das anstellen? Musste ich ihn am Ende töten? Die Gedanken kreisten wie ein Kettenkarussell in meinem Kopf, das sich immer schneller und schneller dreht, bis man das Gefühl hat, aus dem Sitz zu fliegen.
Plötzlich wurde mir alles zu viel. Jede Kraft wich schlagartig aus meinem Körper, wie die Luft aus einem geplatzten Ballon. Da spürte ich, wie Margret Hahn mir energisch die Wange tätschelte. Ihre trockene, schwielige Hand und ihre energische Stimme brachten mich wieder zur Besinnung.
»Aufgeben gilt nicht, Caitlin! Ich spüre eine große Kraft in dir. Nutze sie!«
Und so machte ich mich auf den Weg nach Hause. Ich musste das Schriftstück finden und dann ein letztes Mal ins Jahr 1630 zurückkehren, um die Geschichte ein für alle Mal zu verändern. Denn nur, wenn ich die Vergangenheit besiegen konnte, würde ich noch eine Zukunft haben.
Kapitel 11
D orothea hatte aufgehört, die Tage zu zählen. Wie lange hauste sie nun schon hier im Verborgenen? Sie hätte es nicht zu sagen vermocht. Wie ein verwundetes Tier hatte sie sich verkrochen und lebte ohne Zukunft, nur von Stunde zu Stunde. Sie wagte es nicht, auch nur einen Fuß vor die Tür zu setzen, solange das Tageslicht durch die schmalen Fenster ihrer Hütte fiel. Erst, wenn die Sonne wie ein rotes Senkblei hinter den Hügeln verschwunden war und die schmale Sichel des abnehmenden Mondes am nachtschwarzen Himmel stand, huschte sie nach draußen, um aus dem kleinen Brunnen im Garten Wasser zu schöpfen. Und selbst dann hatte sie furchtbare Angst, entdeckt zu werden. Nur zu gut erinnerte sie sich an
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