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Heike Eva Schmidt

Heike Eva Schmidt

Titel: Heike Eva Schmidt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Purpurmond
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im Morgengrauen des 17. Mai 1630 erreichte er die Alte Hofhaltung in Bamberg. Das Schreiben mit einem Kaiserlichen Mandat, ausgestellt vom Reichshofrat in Wien am 11. Mai, besagte, dass die Hexenprozesse unverzüglich einzustellen und alle Angeklagten freizulassen waren. Doch als das Mandat vom Bamberger Fürstbischof Johann Georg II., Fuchs von Dornheim, geöffnet wurde, waren die 16-jährige Dorothea Flock und eine weitere Angeklagte bereits tot. Man vermutete, dass das Mandat absichtlich zurückgehalten und irgendwo in den Räumen des »Castrums«, der heutigen Alten Hofhaltung Bambergs, versteckt worden war …
    Da war er, der Hinweis, den ich gesucht hatte. Allerdings anders, als ich es mir gewünscht hatte. Schwarz auf weiß von Dorotheas Tod zu lesen, ließ mich einen Moment mutlos werden. Wie sollte ich noch eingreifen, wenn Dorotheas Tod hier in den Geschichtsakten festgeschrieben stand? War ihr Schicksal damit nicht längst besiegelt? Ich war drauf und dran, alles hinzuschmeißen, als ich erneut spürte, wie der verfluchte Halsschmuck mir die Kehle zudrückte. Unwillkürlich wanderte mein Blick zum Fenster, vor dem die samtblaue Abenddämmerung aufzog. Ein schmaler Halbmond stand am Firmament, weißsilbern wie die kaltgeschliffene Sichel des Sensenmannes. Ich unterdrückte meine Panik. Der Knackpunkt war dieses kaiserliche Mandat. Wenn es auftauchte, ehe der Scheiterhaufen brannte, konnte Dorothea vielleicht noch gerettet werden. Doch die Historiker vermuteten ja einen gezielten Akt der Sabotage, und ich konnte mir auch denken, wer das Dokument zurückgehalten hatte: Förg. Also musste ich dafür sorgen, dass der bösartige Richter keine Gelegenheit hatte, das Schreiben aus Wien zurückzuhalten. Vor allem aber musste ich mich beeilen, ehe es für Dorothea und mich zu spät war. Hastig schlüpfte ich in die Kniehose und das kittelartige Hemd des Frühbarock, ehe ich mir noch das Tuch um den Hals schlang und die altertümliche Kappe über meine roten Haare stülpte. Mit klammen Fingern griff ich nach dem ledernen Schriftstück. Ich holte tief Luft und begann zu lesen.
    Erbarm dich mein, o herre got …
    Diesmal fand ich den Weg ohne Probleme. Im Laufschritt eilte ich zu Dorotheas Haus. Die Sohlen meiner Chucks, die mich tapfer durch meine Zeitreisen begleiteten, klatschten rhythmisch auf die sonnenwarme, staubig-ockerfarbene Erde. Eine unbestimmte Unruhe hatte mich befallen, es war ein drängendes Gefühl, als tickte irgendwo tief in mir drin unbarmherzig eine Uhr. Ich legte noch einen Zahn zu und hörte nicht eher zu rennen auf, bis ich vor dem niedrigen Eingang zu Dorotheas Behausung stand.
    Ich sah sofort, dass etwas nicht stimmte. Die Haustür stand halb offen und hing schief in den Angeln, als wäre sie mit Gewalt aufgerissen worden.
    »Dorothea?«, rief ich in das staubige Zwielicht des niedrigen Raumes hinein. Doch nichts als erdrückende Stille war zu vernehmen, als hielte das Haus den Atem an.
    Vorsichtig ging ich in das Haus hinein. Mein ganzer Körper war in Alarmbereitschaft, jederzeit bereit zurückzuspringen, sollte sich etwas im Dunkeln der Stube bewegen, doch nichts rührte sich. Da bemerkte ich einen seltsamen Geruch in der dumpfen Luft des Raumes: kalter Rauch, holzig wie ein lange abgebranntes Lagerfeuer. Als sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah ich die Ursache für den Geruch: Der ganze hintere Teil des Zimmers war bis an die Decke verkohlt. Von dem Alkoven, in dem sich Dorotheas Schlafplatz befunden hatte, war nur noch ein versengtes Holzskelett übrig. Ein paar schwarzverbrannte Halme am Boden zeugten noch von einem Strohsack, der ihr offenbar als Bettunterlage gedient hatte und ebenfalls vollständig in Flammen aufgegangen sein musste.
    Namenloses Entsetzen breitete sich in mir aus. Kopflos stürzte ich aus der Tür und floh aus dem zerstörten Haus.
     
    Wie von Furien gehetzt jagte ich den Hügel zum Mönchskloster hoch und begab mich, völlig außer Atem, schnurstracks zum Loch in der Hecke. Auf diese Weise gelangte ich erneut in den Klostergarten, doch diesmal konnte ich nicht warten, bis Jakob zufällig vorbeikam. Also schlich ich mich an das Hauptgebäude des Konvents heran und lugte um die Ecke. Ein Grüppchen brauner Kutten näherte sich, und ich zog meinen Kopf blitzschnell zurück. Mein Blick huschte über die sandsteinerne Fassade, auf der Suche nach einer Möglichkeit, mich zu verbergen. Erst als ich nach unten schaute, erkannte ich eine Art schmale

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