Heike Eva Schmidt
Tropfen legten sich wie ein silbriges Netz auf Dorotheas Haar. Eine kurze, kostbare Minute sah sie hinauf in den Nachthimmel, an dem kein einziger Stern leuchtete. Der Regen war ein Geschenk, er würde die Zerstörung nicht so endgültig machen. Schon jetzt tränkte das Himmelsnass das Strohdach des Hauses und machte es feucht und schwer. Leise schloss sie die Haustür auf und huschte, wie auf Katzenpfoten, ins Innere. Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass niemand außer ihr hier war, griff sie – wie am Vortag in Gretes Häuschen – zu Feuerstein und Zunderpilz. Dann ging sie zu ihrer Bettstelle, auf der die mit Stroh gefüllte Matratze lag. Einen langen Augenblick stand sie davor. Bilder von ihrer Mutter, als diese fiebernd und bleich zwischen den Laken dahinstarb, zogen wie graue, schwere Nebelschwaden an Dorotheas innerem Auge vorüber. Sie wurden abgelöst von Erinnerungen an jene Zeit, die Daniel und sie Herz an Herz hier verbracht hatten. Nächte, die ihnen für den Schlaf zu kostbar gewesen waren. Vorbei.
16 Jahre hatte sie hier gelebt, und jetzt musste sie dafür sorgen, dass Förg glaubte, sie sei an diesem Ort gestorben. Heftig schlug sie Feuerstahl und Markasit gegeneinander, und als die Funken sprühten, achtete Dorothea darauf, dass sie auf die Schlafstatt fielen. Als die strohgefüllte Unterlage lichterloh brannte, verließ sie leise das Haus. Zur Vorsicht hatte sie einen Teil des Fußbodens mit Wasser aus dem Brunnen getränkt. Sie hoffte, das Feuer würde nicht auf die ganze Stube übergreifen. Das nasse Strohdach würde das vollständige Abbrennen des Hauses verhindern. Dorothea hatte es nicht übers Herz gebracht, alles zu zerstören. Dass der Alkoven mit der Bettstatt und somit der hintere Teil des Häuschens Opfer der Flammen wurde, musste reichen, um die Häscher Förgs zu narren. Nur noch einmal drehte sich Dorothea um, als sie die Waldgrenze erreicht hatte. Blaugelber Feuerschein loderte hinter den Fenstern auf. Dann wandte sie sich ab und lief fort, ohne einen einzigen Blick zurückzuwerfen.
Doch es nützte alles nichts. Obwohl sie sich in den dichten Wäldern um Bamberg versteckte, wo sie sich von Beeren und Pilzen ernährte, im Moos schlief und ihr Zuhause mit einem Bannkreis von gut zwei Stunden Fußmarsch mied: Förg witterte sie, wie ein Wolf seine verletzte Beute. Seine Schergen hatten die Flammen in Dorotheas Häuschen gesehen und waren herbeigeeilt. Als sie die verkohlte Bettstatt erblickten und den schwarzen, klebrigen Ruß, der die Wand hinauf bis an die Decke wuchs, blickten sie sich an und schüttelten die Köpfe.
»Da ist nichts mehr zu machen«, stellte einer fest.
Trotzdem ließ Förg es sich nicht nehmen, persönlich den Brandherd zu inspizieren. Als Bambergs gefürchteter Hexenbrenner hatte er bereits Dutzende Menschen in den Flammen sterben sehen. Er wusste, dass das Feuer gierig war, trotzdem vernichtete es einen Körper niemals vollständig. Es blieben immer Gebeine übrig oder ein schwarzverkohlter Schädel, der dem Betrachter aus staubgrauer Asche entgegengrinste. Im Haus der jungen Flockin fand sich nicht der kleinste Knochensplitter. Da wusste Förg, dass sie versuchte, ihn zu täuschen, und er schickte seine Häscher aus. Weit konnte sie nicht sein, denn sie besaß weder Pferd noch Karren. Seine dünnen, blutleeren Lippen verzogen sich zu einem wölfischen Lächeln. Er würde die Flockin finden. Und dann gnade ihr Gott. Noch nie hatte sich ihm ein Tier oder ein Mensch widersetzt, ohne dafür aufs grausamste zu bezahlen. Dafür, dass die schöne junge Frau ihn abgewiesen und nun auch noch genarrt hatte, würde er sich etwas ganz Besonderes für sie einfallen lassen. Seine Männer suchten bereits Tag und Nacht nach ihr, und Förg war sich sicher, dass es nicht lange dauern konnte, bis sie das Mädchen aufgespürt hatten.
Daniel würde von alledem nichts erfahren. Sein Sohn würde seine ehemalige Geliebte erst wiedersehen, wenn diese auf dem Scheiterhaufen brannte. Und diesmal würde Förg dafür sorgen, dass die Flammen ihr Werk vollendeten.
Kapitel 12
D ie Flammen züngelten hoch, und binnen Sekunden brannte der ganze Holzstoß. Ich konnte die Hitze im Gesicht fühlen, trotzdem rannte ich auf den Scheiterhaufen zu. In diesem Moment erblickte ich ein Frauengesicht mit rotgoldenen, langen Haaren hinter der Feuerwand. Der Mund öffnete sich zu einem stummen Schrei. Dorothea! Ich stürzte auf sie zu, ich musste sie befreien, ehe sie als letzte Hexe
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