Heike Eva Schmidt
Kellerluke, vor der weder ein Gitter noch eine Glasscheibe war. Da das Mönchsrudel jeden Moment auftauchen konnte, kroch ich, ohne nachzudenken, rücklings durch die Öffnung. In der Erwartung, sogleich festen Boden unter die Füße zu bekommen, ließ ich los – und legte erst mal eine unfreiwillige Slapsticknummer hin. Wie ein steppender Bär suchte ich auf irgendwelchen kugeligen, kullernden Dingern Halt und fiel prompt auf den Hintern. Mühsam verkniff ich mir einen lauten Fluch, denn soeben sah ich vier Paar Füße in Sandalen an der schmalen Kellerluke vorbeigehen.
Leise ächzend rappelte ich mich hoch, wobei ich krümelig-sandige Erde unter meinen Händen ertastete und außerdem etwas, das sich anfühlte wie die großen, haarigen Fühler eines noch größeren Krabbeltieres. Ich biss mir auf die Lippen, um nicht hysterisch loszukreischen, und versuchte zu erkennen, was ich da gerade angefasst hatte. Als sich meine Augen allmählich an das Schummerlicht des modrig-dunklen Raums gewöhnten, sah ich längliche, blass-weiße Rüben. Ich erinnerte mich, diese Dinger im Kochbuch meiner Mutter mal unter dem Begriff »Pastinaken« gesehen zu haben. Angeblich waren sie total gesund, mir hätten sie allerdings beinahe einen Herzstillstand beschert. Einige der Rüben trieben an ihren Enden wurzelig-verzweigte Keime. Offenbar war ich im Vorratskeller des Klosters gelandet. Mit klappernden Zähnen atmete ich so tief durch, wie es der Kupferreif um meinen Hals zuließ. Dann balancierte ich über die hin und her rollenden Feldfrüchte zu einer groben Holztür. Zum Glück war sie nicht verschlossen, und ich kam ungehindert in einen lichtlosen Gang. Ich tastete mich an der trockenen, kalten Lehmwand entlang und stolperte prompt über die unterste Stufe einer Treppe.
Lautlos hangelte ich mich Stufe für Stufe nach oben. Die ganze Zeit über rechnete ich damit, dass plötzlich, wie aus dem Boden gewachsen, ein Mönch vor mir stehen würde. Doch nichts passierte. Stattdessen kam ich erneut in einen Flur, der breiter und heller war als der erste und von dem mehrere Türen nach links und rechts abzweigten. Eine davon stand offen, und in der kargen Zelle hing – ich konnte mein Glück kaum fassen – eine Mönchskutte! Klamottenklauen war im 17. Jahrhundert offenbar meine Bestimmung, also fackelte ich nicht lange und warf mir das sackartige Teil über den Kopf. Der Geruch nach altem Schweiß ließ mich kurz würgen, aber jetzt war nicht der Moment, um Prinzessin auf der Erbse zu spielen. Hastig zurrte ich den Taillenstrick fest und stülpte mir die Kapuze über den Kopf. Meine Mütze hatte ich vorher noch rasch in meinen Hosenbund unter der Kutte gestopft. Vermutlich sah ich aus wie eines dieser Zierbäumchen, die man im Winter zum Schutz vor Kälte mit einem Jutesack umwickelt, aber egal. Je unscheinbarer, desto besser. Ich trat aus der Zelle. Was jetzt?
In diesem Moment sprangen fast gleichzeitig die restlichen Türen im Gang auf, was mich so erschreckte, dass ich stocksteif stehen blieb. Im Tierreich nannte man das »Totstellreflex«. Doch die Mönche, die heraustraten, nickten mir und einander nur stumm zu, ehe sie sich zu einer Reihe formierten und langsam den Gang entlangwandelten. Mit gesenktem Blick, die Kapuze tief in die Stirn gezogen, wandelte ich so würdevoll wie möglich mit. Wir gingen ins Freie und durchschritten einen Kreuzgang, dessen Arkadenbögen sich über unseren Köpfen spannten. Vor einem geschnitzten, zweiflügeligen Tor hielten wir an. Es schwang auf, und vor uns erstreckte sich der hohe Raum der Klosterkirche. Sofort fühlte ich mich schuldig. Ohne Grund. So ging es mir immer, wenn ich eine Kirche betrat. Ich hatte zu Gott ein ähnliches Verhältnis wie zur Polizei. Beide waren Institutionen, die eher am Rande meines Daseins existierten. Wurde ich jedoch mit ihnen konfrontiert, kriegte ich plötzlich ein schlechtes Gewissen. Bei der Polizei hatte ich immer Angst, ungewollt eine Verkehrssünde begangen zu haben, wie bei Rot über die Ampel flitzen. Bei Gott war es das Gefühl, ein schlechter Mensch zu sein. Heute war das sogar berechtigt, immerhin klaute ich im Akkord Klamotten und schlich mich als falscher Mönch in den Gottesdienst ein, obwohl ich in Wahrheit ein Mädchen war, und noch dazu nicht mal katholisch.
In diesem Moment begann der Gesang. Ein Mönch stimmte die Melodie an, und seine Stimme schraubte sich klar und sicher bis unter die Kuppel empor. Ein Dutzend anderer Brüder fiel ein. Ohne
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