Heike Eva Schmidt
Enthaltsamkeit schien sie’s nicht zu haben. Die Mutter Äbtissin hat sie mit einem Manne gesehen.«
Ich warf Jakob einen schnellen Blick zu. Sein Kiefer spannte sich an, doch ich zupfte ihn am Ärmel. »Es ist nicht so, wie du denkst«, wisperte ich beruhigend. »Ich erklär’s dir später.« Jakobs Gesichtszüge entspannten sich. Und auch Daniels Miene blieb, soweit ich das von meinem Beobachtungsposten aus sehen konnte, ruhig. Er musste ja davon ausgehen, dass die Äbtissin ihn gesehen hatte, als er bei Dorothea gestanden hatte.
»Nun, Vater. Wie Ihr wisst, widme ich mich auf Euren Wunsch hin der Juristerei. Hier wäre ein ›in dubio pro reo‹ – im Zweifel für die Angeklagte – angemessen. Denn wenn die Äbtissin die Postulantin gegen die Regeln verstoßen sah, warum ist sie dann nicht sogleich eingeschritten?«
Gespieltes Erstaunen lag in Förgs Stimme, als er zum Gegenschlag ausholte: »Mein Sohn, das tat sie! Sie traf die beiden in inniger Umarmung an und verwies die Postulantin umgehend des Klosters – im Beisein ihres Geliebten.«
Daniels Kopf fuhr hoch. Ich hörte, wie er nach Luft schnappte, genau wie Jakob neben mir. Ich gab ihm einen leichten Knuff.
»Dieser angebliche ›Geliebte‹ war ich, Jakob! Mich hat die Nonne mit Dorothea ertappt! Mann, kapierst du denn gar nichts? Der Richter versucht, seinen Sohn aufzuhetzen!«
Jakob starrte mich mit blassem Gesicht an. Dann lauschten wir beide, was sich als Nächstes hinter dem Fenster abspielte.
Der Richter hatte sein Gift noch längst nicht vollständig verspritzt, denn ich hörte, wie er sagte: »Ehe der Schurke flüchten konnte, fiel ihm die Kappe vom Kopf. Die Mutter Äbtissin schwört bei allen Heiligen, seine Haare seien feuerrot gewesen, wie die des Teufels!«
Ich verdrehte die Augen: Na, vielen Dank, Förg, du Blödmann. Und so was war mein Vorfahre! Inzwischen wäre mir sogar Dieter Bohlen als Verwandter lieber gewesen. Nicht genug, dass der Richter log wie gedruckt, jetzt war ich auch noch Mephisto höchstpersönlich.
Daniel hielt den Kopf gesenkt und presste sich die Hand an die Stirn, als habe er schlimme Kopfschmerzen. Der Schatten des Richters glitt am Fenster vorbei, und ich sah seine spitzen Zähne unter der Hakennase blitzen. Er lächelte.
»Nun, es ist doch immer wieder erbaulich, welche Neuigkeiten eine zufällige Begegnung mit sich bringt, nicht wahr?«, sagte er, und ich hörte den Triumph in seiner Stimme, bevor er lässig hinzufügte: »Obwohl ich fürwahr verwundert bin, dass sich die Klosterpforten für die junge Flockin überhaupt geöffnet hatten. Sie schien mir nicht mit dem Reichtum gesegnet, den es braucht, um ihre Aufnahme in den Orden zu bezahlen, so wie es Brauch ist …« Förgs Stimme hatte einen lauernden Unterton, aber Daniel schwieg dickköpfig. Als der Alte wieder zu reden begann, klang es betont beiläufig.
»Ich werde auf einen Wein in die Schenke gehen. Möchtest du mitkommen, Sohn?«
Daniel schien aus einer Starre zu erwachen. »Nein danke, Herr Vater … Ich … werde mich meinen Studien widmen«, sagte er tonlos.
Daniels Schatten setzte sich, wahrscheinlich, um die Sache erst mal zu verdauen. Eine Minute lang passierte nichts, dann hörten Jakob und ich, wie sich das große Holztor um die Ecke quietschend öffnete und kurz darauf wieder ins Schloss viel. Schritte entfernten sich, dann Stille. Förg war weg.
»Los, jetzt! Das ist die Gelegenheit, mit Daniel zu reden«, flüsterte ich hastig.
»Ich wage zu bezweifeln, dass er uns einlässt«, wandte Jakob ein.
Ich rollte die Augen. Er war einfach ein hoffnungsloser Gutmönch.
»Doch nicht durch die Tür«, seufzte ich und blickte auffordernd zu dem erleuchteten Fenster mit den weit offen stehenden Flügeln empor.
»Räuberleiter, nun mach schon«, drängelte ich und verschränkte mit nach oben gedrehten Handflächen meine Finger ineinander, um ihm zu zeigen, was ich meinte.
»Ich bin nicht sicher …«, fing Jakob an, aber das ließ ich nicht gelten.
»Komm schon, du bist groß und kräftig. Du weißt doch: ›Mens sana in corpore sano‹«, witzelte ich. Doch statt mir zu helfen, starrte er mich an.
»Du bist des Lateinischen mächtig?«, fragte er baff. »Das bedeutet, du hast eine Schulbildung genossen!«
Wie nett, dass er mir das vorher offenbar nicht zugetraut hatte. Aber ich ging nicht weiter darauf ein.
»Nun mach schon!«, sagte ich drängend.
Kopfschüttelnd formte Jakob seine Hände zu einer Tritthilfe, doch ich sah sehr
Weitere Kostenlose Bücher