Heike Eva Schmidt
sich meine Lippen zu einem Lächeln. Am liebsten wäre ich ihm auf der Stelle in die Arme gesunken, aber sein Gesichtsausdruck hielt mich davon ab. Er sah mich an, als täte ihm irgendwo tief im Inneren etwas weh.
»Doch du solltest nicht vergessen, wer ich bin«, fügte er an, und seine Miene verschloss sich. Wie damals im Kloster, als er mich im Apfelbaum entdeckt hatte.
Noch ehe ich einen Pieps herausbrachte, hatte er sich abgewandt und seine Schritte beschleunigt. Ich trabte mit gesenktem Kopf hinter ihm her. Ich musste erst einmal das Gefühlschaos in meinem Inneren in den Griff kriegen. Krampfhaft starrte ich auf meine Füße unter der Kutte, die sich automatisch einer vor den anderen setzten, als wäre ich ein kleiner Mönch-Roboter. Mein Verstand wiederholte das Wort »Zölibat« wie eine CD auf »Repeat«. Noch immer konnte ich Jakobs Berührung auf meiner Haut fühlen.
Nach kurzer Zeit hatten wir die Klosterhecke erreicht.
»Du wartest besser hier draußen. Meine Brüder kennen mich. Wenn man mich entdeckt, werde ich nicht so rasch verdächtigt«, flüsterte Jakob, ehe er fast lautlos in dem geheimen Durchgang zum Klostergarten verschwand.
Unruhig von einem Bein aufs andere tretend, stand ich in der samtfeuchten Nachtluft, die so mild war, als wolle sie einen Vorgeschmack auf einen heißen Sommer geben. Ich bildete mir ein, meinen Pulsschlag laut in die Stille hineindröhnen zu hören. Zu meiner Angst, Jakob könne beim Kräuterklau erwischt werden, gesellte sich die Panik vor dem Pupurnebel. Was, wenn der Zeitstrudel mich zurückholte und kein Jakob da war, um mich zu halten? Der Schrei eines Käuzchens ließ mich vor Schreck fast einen halben Meter in die Luft springen, so unheimlich klang sein klagendes »Huuu-Huhuuu!«. Ich bemühte mich, darin kein schlechtes Omen zu sehen.
Als Jakob endlich wohlbehalten und mit zwei Leinensäcken in der Hand wieder auftauchte, atmete ich erleichtert auf: Er hatte es geschafft. Ein Gefühl der Euphorie durchströmte mich. So ähnlich mussten sich die Teilnehmer der Tour de France fühlen, wenn sie eine steile Etappe hinter sich gebracht hatten.
Im Eiltempo liefen Jakob und ich zurück zum Haus der Förgs. Wie vereinbart wartete Daniel am offenen Fenster, bis mein Pfiff aus der dunklen Gasse ertönte. Er gab uns ein Zeichen, und wir schlichen um die Hausecke zum Eingangstor, das sich lautlos öffnete.
»Mein Vater ist noch nicht zurückgekehrt. Das lässt mich hoffen, er möge dem Wein reichlich zusprechen«, sagte Daniel hastig. Er wirkte aufgedreht, seine Augen glänzten fiebrig und er lief ruhelos im Zimmer herum. Bestimmt befürchtete er, dass seine Liebste inzwischen schon den Qualen der Folter ausgesetzt war. Ich hatte dieselben Gedanken und hätte das verdammte Malefizhaus am liebsten sofort mit Schwertern und Fackeln gestürmt. Ganz abgesehen davon, dass der Reif um meinen Hals stündlich enger zu werden schien und mir langsam, aber sicher das Atmen deutlich erschwerte. Doch eine überstürzte Bruce-Willis-Aktion würde nichts bringen, dazu war der Kerker zu gut bewacht. Trotzdem mussten wir unseren Plan schnell ausführen. So wie ich Förg einschätzte, würde er nicht lange zögern.
Während Daniel das gefälschte Schreiben aufsetzte, half ich Jakob, einen Schlaftrank für den Richter zuzubereiten. Daniel hatte uns den Weg in die Küche gewiesen. Die Köchin war um diese Zeit schon schlafen gegangen, und auch das restliche Personal war längst in seine ärmlichen Behausungen zurückgekehrt. Erst vor ein paar Tagen hatte der Richter im Jähzorn zwei seiner Diener entlassen, wie Daniel uns berichtet hatte. Wir würden also ungestört sein. Neugierig lugte ich Jakob über die Schulter, als er behutsam etwas frische Milch in ein kupfernes Gefäß goss und die weiße Flüssigkeit langsam über dem Herdfeuer erwärmte. Dann griff er in eines der Leinensäckchen und entnahm ihm ein paar kleine, schwarze Körner.
»Mohnsamen?«, tippte ich, und er nickte.
»Ein halbes Dutzend Fingerprisen sollten reichen«, murmelte er, während er seine Finger immer wieder in den Beutel tauchte und die Mohnkörner in die warme Milch gab. Auf der anderen Herdplatte köchelten ein paar Blätter getrocknetes Bilsenkraut in einem Kessel.
»Die Wurzel des Krautes darf nicht verwendet werden. Deren Essenz wäre zu stark und könnte den Richter töten«, erklärte Jakob, während er den Blättersud vorsichtig durch ein sauberes Tuch in eine Tonschale abgoss.
Mir lag es auf der
Weitere Kostenlose Bücher