Heike Eva Schmidt
Dorothea auf dem Klosterfriedhof. Dass ich eine Zeitreisende wider Willen war und er mich auf irgendeine Art davor bewahrt hatte, ins Jahr 2012 zurückzukehren. Dort wäre ich hilflos gestrandet und wahrscheinlich nicht mehr rechtzeitig zurückgekommen, um Dorothea zu befreien. Nur die Angst, Jakob könnte an Hexen-und Teufelswerk glauben und aus der ganzen Sache aussteigen, wenn ich ihm die Wahrheit sagte, hielt mich davon ab. Also schüttelte ich den Kopf. »Verzeih mir, ich kann es dir nicht erklären. Nicht, weil ich dich für dumm halte, im Gegenteil. Aber … es würde alles sehr schwierig machen, verstehst du? Immerhin sind wir jetzt quitt. Erst habe ich dich gerettet und nun du mich«, fügte ich scherzend hinzu, auch wenn es etwas kläglich klang.
Er blickte mich immer noch an. »Ein Geheimnis umgibt dich. Ich spüre es. Aber wenn du es wünschst, werde ich nicht weiter fragen«, sagte er und wandte sich ab.
Mit zwei Schritten war ich wieder an seiner Seite. »Ich verspreche dir, ich werde dir alles erklären. Zu gegebener Zeit. Erst muss Dorothea in Sicherheit sein«, beschwor ich ihn. Bestimmt hielt er mich für total durchgeknallt – und vielleicht war ich ihm sogar unheimlich.
Unsicher stolperte ich neben ihm her und grübelte darüber nach, was er wohl von mir dachte, als ich seinen Blick spürte.
»Du trägst schwere Gedanken mit dir herum, habe ich recht?«, fragte Jakob.
Unwillkürlich musste ich kichern. Als er mich irritiert anstarrte, holte ich tief Luft. »Ich habe nur gerade darüber nachgedacht, was du wohl von mir denken magst«, gestand ich.
»Ich glaube, du bist verrückt. Ja, wahrscheinlich gar von Dämonen besessen. Sonst würdest du dich nicht als Mönch verkleiden, mich zwingen, mit dir zum Haus des Richters zu gehen, und versuchen, eine Gefangene aus dem Drudenhaus zu retten. Ganz abgesehen davon, dass du die Wachen des Fürstbischofs belogen und die armen Männer zu Tode erschreckt hast«, sagte Jakob todernst.
Ich bremste so abrupt, dass ich mir einbildete, meine Füße quietschen zu hören.
»Was?«, brachte ich nur heraus.
Erst nach zwei Sekunden merkte ich, dass sich ein Fältchenkranz um Jakobs Augen gebildet hatte und er sich ein Lachen verbiss.
»Du hast mich verar… ich meine, du treibst Schabernack mit mir, hab ich recht?«, fragte ich.
Insgeheim wäre ich fast umgefallen: Jakob hatte Humor, und einen ziemlich schrägen noch dazu! Das war ungefähr so, als würde Sido plötzlich beim Musikanten-Stadl auftreten. Vorsichtig schielte ich zu ihm rüber und sah, dass er mich mit einem warmen Lächeln musterte. Es durchfuhr mich, wie beim Bungeespringen von der höchsten Brücke.
»Warum musstest du eigentlich unbedingt ins Kloster gehen?«, rutschte es mir raus. Eigentlich hätte ich gerne noch ein »Verdammt noch mal« angefügt, aber ich beherrschte mich.
Jakob schwieg eine Weile, und ich hatte schon Angst, ihn verärgert zu haben, als er zum Sprechen ansetzte. »Ich weiß nichts über dich Cat, aber augenscheinlich hast du eine gute Schulbildung genossen. Du sprichst Latein …«
Wenn er von meiner konstanten Vier wüsste, würde er das anders formulieren, schoss es mir durch den Kopf.
»In meinem Stand ist es nicht einmal selbstverständlich, Lesen und Schreiben zu beherrschen. Ich hatte Glück – meine Mutter konnte mich zu einem Dorflehrer schicken. Doch jegliche Wissenschaft und die höheren Schriften wären mir verwehrt geblieben. Als einfacher Handwerker oder vielleicht als Schreiber hätte ich mein Leben fristen können, ja. Aber ich wollte … mehr. Die hohe Kunst der Medizin auszuüben, das ist mein Wunsch. Jedoch sind die entsprechenden Schriften für den Sohn einer einfachen Hebamme nicht zugänglich, außer …«, sagte Jakob und wies auf seine Kutte.
Ich ergänzte: »… man wählt den Weg ins Kloster.«
Er nickte. Ich biss mir auf die Lippen und dachte, dass das Leben damals wirklich ein einziges Roulettespiel gewesen war. Hatte man Glück, landete man in einer reichen Familie. Ansonsten konnte man im Hinblick auf die eigene Zukunft nicht besonders wählerisch sein. Und die Frauen hatten natürlich erst recht die Loserkarte. Ich sah Jakob an und sagte: »Du wirst einmal ein sehr guter Arzt, das weiß ich!«
Jakob hob die Hand und strich mir kurz und behutsam über die Wange. In meinen Ohren klingelte es, und ich kriegte auf der Stelle Schnappatmung.
»Ich habe dich gern, Cat«, sagte er leise.
Ohne dass ich etwas dagegen tun konnte, verzogen
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