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Heike Eva Schmidt

Heike Eva Schmidt

Titel: Heike Eva Schmidt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Purpurmond
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die Zähne zu einem siegessicheren Grinsen und schwenkte die Lampe in Richtung Pergament.
    Ohne zu überlegen, holte ich aus und schleuderte ihm meine Pechfackel entgegen. Sein Gesicht verzerrte sich vor Schreck. Ruckartig wich er dem feurigen Geschoss aus, und es flog an ihm vorbei in die Nacht hinaus. Bei der hastigen Bewegung war ihm die Öllampe aus der Hand gefallen. Das dicke, milchige Bleiglas zerbarst, Scherben klirrten auf den Holzbohlen, und brennendes Öl verbreitete sich, wie gierig tastende Finger. Schon leckten die Feuerzungen höher über den Boden und fanden Nahrung in dem bodenlangen, wollenen Umhang des Richters. Innerhalb weniger Sekunden stand Förg bis zur Hüfte in Flammen.
    Abwehrend riss er die Arme hoch, während sich sein Mund zu einem stummen Schrei öffnete. Das Pergament flog ihm aus der Hand und segelte über die Balkonbrüstung, hinunter in die nachtschwarze Dunkelheit. Am liebsten wäre ich sofort aus dem Raum gestürmt, denn mit Sicherheit war das Schreiben im Innenhof gelandet. Aber ich konnte mich nicht von der Stelle rühren. Die lebende Fackel, die da vor mir stand, war zwar ein skrupelloser Verbrecher, aber trotzdem ein Mensch. Ich konnte ihn nicht einfach seinem Schicksal überlassen. Mit fliegenden Händen schlüpfte ich aus meiner Jacke und wollte sie über ihn werfen. Es wäre zumindest ein Versuch, die lodernden Feuerzungen zu ersticken. Doch der Richter verfiel in Panik. Schreiend und wild mit den Armen fuchtelnd, drehte er sich um die eigene Achse, ehe er blind vor Panik losstürmte. Allerdings nicht zur Tür. Offenbar hatte er komplett die Orientierung verloren. Wie ein wilder Stier, der den Degen des Toreros im Rücken hat, warf er sich nach vorne und prallte mit Schwung gegen das niedrige Balkongeländer. Ein mahlendes Knirschen war zu hören, dann barst das morsche Holz. Mit einem grässlichen Schrei stürzte Förg in die Tiefe und zog einen hellen Funkenschweif hinter sich her wie ein lebender Meteorit. Er, der so viele Menschen ins todbringende Feuer geschickt hatte, brannte nun selbst lichterloh. Ein dumpfer Aufprall auf dem Pflaster des Innenhofs, dann herrschte vollkommene Stille.
    Auch wenn ich mir nichts sehnlicher wünschte, als mich irgendwo in eine Ecke zu verkriechen, musste ich wissen, was mit Förg passiert war. Ob er noch lebte – oder nicht. Nur so würde ich Klarheit darüber bekommen, ob es noch eine Chance gab, Dorothea zu retten. Der Gedanke an Jakobs Schwester, die mir eine so gute Freundin geworden war, löste meine Erstarrung. Ich rannte los und polterte die Holztreppe hinunter, als wäre eine ganze Armee von Dämonen hinter mir her.
    Im Innenhof lag ein regungsloses Bündel auf den Steinen. Bei seinem Anblick wurden mir die Knie weich, als hätten sich meine Knochen schlagartig in eine wabblige Masse verwandelt. Unsicher stolperte ich ein paar Schritte näher. Es war Förg. Er lag auf der Seite. Sein halbverkohlter Umhang bedeckte seine Beine. Trotzdem konnte ich durch den angesengten Wollstoff erkennen, dass sein linker Unterschenkel merkwürdig verdreht war. Mein Blick wanderte an seinem Körper nach oben. Förgs Kopf lag in einem unnatürlichen Winkel zum Rumpf. Seine Augen waren offen und starrten leer in den schwarzen Nachthimmel, an dem die Sichel des Mondes hing wie ein dünnes silbernes Haar. Der Richter rührte sich nicht mehr. Er war tot.
    Eine geschlagene Minute lang stand ich vornübergebeugt, die Hände auf meine Oberschenkel gestützt, und versuchte, das unkontrollierte Zittern, das meinen Körper schüttelte, in den Griff zu bekommen. Meine Finger waren eiskalt, als hätte ich sie stundenlang in einen Kühlschrank gehalten. Noch nie hatte ich einen Menschen sterben sehen. Und auch wenn Förg den Tod mehr als verdient hatte, war sein Ende dennoch ein Schock für mich.
    Ich hatte ihn nicht umgebracht, es war nicht meine Fackel, die seinen Umhang in Brand gesetzt hatte, aber das Bild des in Flammen stehenden Mannes und den gellenden Schrei, mit dem er in die Tiefe gestürzt war, würde ich so schnell nicht vergessen.
    Dann aber kam mir ein neuer Gedanke: Wenn der Hexenbrenner nicht mehr lebte, war vielleicht auch der Fluch aufgehoben! Immerhin hatte der Richter nun keine Möglichkeit mehr, Dorothea und die alte Frau, die meinen Schmuck verflucht hatte, auf den Scheiterhaufen zu bringen. Meine Hände fuhren an meinen Hals und ich nestelte an dem Kupferreif, doch er ließ sich immer noch nicht bewegen – er schien, im Gegenteil, immer

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