Heike Eva Schmidt
stolperte zwei Schritte rückwärts und sah aus den Augenwinkeln seine hagere Gestalt an mir vorbeihuschen. Das Adrenalin schoss mir durch den Körper, und schneller, als ich es selbst erwartet hätte, machte ich einen Satz und bekam ihn am Rückenteil seiner Samtjacke zu fassen, als er gerade die Treppe hinunterlaufen wollte. Er fuhr mit einem wölfischen Knurren herum und schlug mir mit dem Handrücken ins Gesicht, so dass mir die Kappe vom Kopf flog. Dann packte er mich grob an den Haaren und riss meinen Kopf nach hinten. Vor Schmerz schossen mir die Tränen in die Augen, und ohne nachzudenken, reagierte ich wie unsere Katze früher, wenn man sie am Nacken packte, was sie nicht leiden konnte: Ich schlug meine Zähne in Förgs haarigen Unterarm, der sich direkt vor meiner Nase befand, und biss zu, so fest ich konnte. In meinem Kopf war nur ein Gedanke: Igitt! Es war, als würde ich ein rohes Steak essen, an dem noch Kuhfell hing. Der Richter brüllte vor Schmerz auf. Unwillkürlich öffnete er die Faust und ließ meine Haare los. Es brauchte eine Weile, bis meine Augen aufhörten zu tränen. Als mein Blick wieder klar wurde, sah ich einen Schemen links um die Ecke verschwinden. Förg versuchte offenbar, sich über einen anderen Weg zu verdrücken, und zwar samt dem Mandat! Ohne zu überlegen, nahm ich die Verfolgung auf. Wir jagten einen langen Gang mit niedriger Decke entlang. Der Richter mit der wild hin-und herschwankenden Öllampe voraus, ich mit meiner Pechfackel hinterher, wie Prometheus persönlich. Bedauerlicherweise fehlten mir im Gegensatz zu dem antiken Titan die Flügelschuhe, trotzdem verringerte ich unaufhaltsam den Abstand zwischen uns. Das regelmäßige Jogging an der Regnitz hat sich also gelohnt, dachte ich. Auch wenn mir mein enger Halsreif beim Atmen ganz schöne Probleme machte.
Förg bog um eine Ecke. Als ich keuchend nachfolgte, war keine Spur mehr von ihm zu sehen. Das konnte ja wohl nicht wahr sein! Hektisch blickte ich mich um und wollte schon weiter die schmale Galerie entlanglaufen, als mein Blick auf eine kleine, unscheinbare Tür ohne Schloss fiel, die beinahe mit der Wand verschmolz, so versteckt war sie. Ich riss sie auf und sah, dass sie zu einer Art überdachtem Vorplatz führte, der sich zu einem hölzernen Balkon öffnete. Das Geländer war nur hüfthoch und garantiert nicht TÜV-geprüft, doch ich hatte wahrhaftig andere Sorgen. Vor mir stand nämlich Förg, der sich offenbar in der niedrigen Kammer hatte verstecken wollen. Seine Augen waren wie zwei schwarze Löcher, die alles Lebendige einsogen und verschluckten.
»Ich werde dafür sorgen, dass du beim ersten Strahl der Morgenröte brennst, Drudenweib«, spuckte er mir entgegen.
Eine wilde Wut schäumte in mir hoch. Wie bei einer Sektflasche, die man zu lange zu heftig geschüttelt hatte und deren Korken nun aus dem Flaschenhals schießt, explodierte auch ich. »Du bist so was von erbärmlich! Weiß der Himmel, wie du es zum obersten Richter geschafft hast! Wahrscheinlich mit Lügen, Betrug und Bestechung. Aber in Wirklichkeit bist du ein hässlicher, alter Mann mit ’nem ziemlich ausgeprägten Kontrollzwang. Wer dir widerspricht, den lässt du einfach verbrennen. Und an Dorothea willst du dich nur rächen, weil sie dich nicht ausstehen kann. Aber weißt du was? Niemand kann das. Du bist einfach widerwärtig!«
So, dachte ich, das musste mal gesagt werden. Förg stand mit offenem Mund da, als hätte ihn ein Erstarrungszauber erwischt, und glotzte mich fassungslos an. Kein Wunder, die Wahrheit hatte ihm garantiert noch keiner so ungeschminkt um die Ohren gehauen.
»Wie kannst du es wagen …«, flüsterte er, doch seine Stimme stockte und klang brüchig. Der oberste Richter Bambergs hatte ziemlich viel von seiner Selbstsicherheit eingebüßt.
Mutig geworden, starrte ich ihn an und sagte kalt: »Gib auf, Förg. Du hast verloren! Sogar dein eigener Sohn hat sich gegen dich gestellt! Daniel weiß von dem Papier, und er ist mit Dorotheas Bruder auf dem Weg hierher! Wir werden das kaiserliche Mandat so oder so bekommen.«
Förgs Gesicht nahm einen heimtückischen Ausdruck an. Blitzschnell griff er unter sein Wams und zog das dicke, gefaltete Pergament hervor. Ich dachte noch verwundert, ob er es mir vielleicht vorlesen wollte, als er die Öllampe hob. Er wollte den kaiserlichen Erlass verbrennen, auf dass kein Mensch den Befehl des Reichshofrats jemals zu Gesicht bekommen würde.
»Nein!«, schrie ich, doch Förg fletschte
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