Heike Eva Schmidt
Von was redest du? Und wer ist Grete?«, fragte ich atemlos.
»Grete, meine alte Nachbarin. Sie besitzt eigentümliche Kräfte. Weil sie sich weigerte, den Wunsch des Richters zu erfüllen und mich mit einem Liebeszauber für ihn gefügig zu machen, hat er sie hierher verbringen lassen. Sie wurde der Hexerei angeklagt und gefoltert, und jetzt will man sie wohl bald hinrichten. Deswegen hat sie Förg verflucht. Erst gestern, hier, im Verlies! Sie hat ihren kupfernen Halsschmuck mit einem Bann belegt …«
Mir wurde schwarz vor Augen, und meine Knie schienen sich in Götterspeise zu verwandeln.
»Cat, was ist mit dir?«, rief Dorothea besorgt.
Wortlos zog ich sie mit mir, bis wir direkt unter dem schmalen Fenster standen. Die silberkalte, hauchdünne Mondsichel spendete nur einen blassen Lichtschimmer, aber der genügte, um Dorothea zu zeigen, was sich unter dem fleckigen Tuch um meinen Hals verbarg.
»Gretes Reif«, hauchte sie.
Ich nickte grimmig. »Er ist es, der mich durch die Zeit reisen lässt, Dorothea. Er ist zu einer tödlichen Fessel geworden. Mit dem abnehmenden Mond wird er enger und enger. Nicht mehr lange, und ich kann nicht mehr atmen. Der Schmuck wird mich umbringen.«
»Aber … wie ist das möglich, Cat? Ich sah doch, wie Grete den Schmuck gerade erst mit einem Bann belegt und in das Mauerwerk gelegt hat …«
»Okay, der Reihe nach: Was genau ist an diesem Tag im Verlies passiert?«, fragte ich und versuchte, meine Stimme so ruhig wie möglich klingen zu lassen.
»Sie schleppten mich aus meiner Zelle und zu Grete, die sie zuvor ausgepeitscht und gefoltert hatten …«, begann Dorothea.
Und so erfuhr ich, wie die alte Frau geplant hatte, den Richter für ihre Hinrichtung und den Tod vieler Unschuldiger büßen zu lassen.
»Sie hat es vorhergesehen, Cat«, flüsterte Dorothea. »Grete sah, dass der Halsreif für Förgs Tod sorgen würde. Nur auf welche Weise, das wusste sie nicht.«
Ich nickte nachdenklich. So betrachtet, hatte die alte Zauberin recht behalten. Ich war Trägerin des Schmucks, und durch mich war Förg im Castrum derart in Bedrängnis geraten, dass er über den hölzernen Balkon in den Tod gestürzt war.
Dumm nur, dass damit der Fluch nicht gelöst war.
Ich presste meine zitternden Fingerspitzen auf meine geschlossenen Augen, während die Gedanken wild durch meinen Kopf rasten. Wie konnte der verfluchte Schmuck an zwei Orten gleichzeitig sein? Offenbar hob die Magie jegliche Raum-und Zeit-Logik auf, wenn sich, wie in diesem Moment, die Achsen von Vergangenheit und Zukunft überschnitten. Und so war ich mitsamt des Halsreifs in eine frühere Zeit »hineinkopiert« worden, als hätte jemand die »Copy-und-Paste«-Funktion aktiviert. Und Grete war bei der ganzen Sache der Dreh-und Angelpunkt.
Dorothea schienen ähnliche Gedanken durch den Kopf zu gehen, denn sie sagte: »Aber nun ist Förg doch tot, ohne dass er in den Besitz des Halsreifs gekommen ist. Der Fluch müsste seine Kraft verloren haben. Zudem wollte Grete doch bloß den Richter treffen …«
»Es ist ein Fluch des Blutes, Dorothea«, sagte ich matt.
»Ich habe dir doch erzählt, dass ich aus der Zukunft komme. Dummerweise bin ich eine Nachfahrin von Förg. Ich trage sein Blut in mir. Deshalb wurde der Zauber bei mir wirksam.«
»Oh Cat«, flüsterte sie erstickt, »das kann Grete nicht gewollt haben. Sie ist ein guter Mensch …«
Ich nickte. Das glaubte ich ihr gern, nur half es mir leider keinen Deut weiter. »Hör zu, dass der Halsreif immer noch aktiv ist, bedeutet wahrscheinlich, dass uns allen nach wie vor der Scheiterhaufen droht. Ich weiß nicht, wo Jakob und Daniel bleiben, aber ich muss versuchen, zu Grete zu gelangen. Sie muss den Fluch zurücknehmen, oder der Halsreif wird mich töten«, sagte ich.
Dorothea holte Luft, doch es hörte sich eher wie ein Schluchzer an. »Grete hat … oh Cat, sie hat das Bewusstsein verloren«, sagte sie mit zittriger Stimme.
»Sie war durch die Folter verletzt und geschwächt, und als ich bei ihr war, da sank sie auf einmal bewusstlos darnieder …«
Dorotheas Worte verschwammen, weil mir hundeübel wurde. Mit Gretes Ohnmacht, ja ihrem vielleicht bereits eingetretenen Tod war auch mein Schicksal besiegelt. Selbst wenn die Purpurnebel mich nicht im Stich gelassen und ins Jahr 2012 zurückbefördert hätten – der Fluch bliebe trotzdem bestehen und würde mein Leben beenden, ehe meine Eltern von ihrer Reise zurückkämen. Ich würde sie also so oder so nicht mehr
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