Heike Eva Schmidt
Respect, Daniel, dachte ich. Der Junge hatte echt einen autoritären Ton drauf, da hätte sich sogar TV-Richterin Barbara Salesch noch eine Scheibe abschneiden können.
Einer der beiden Soldaten sah entsprechend beeindruckt aus und lockerte den harten Griff um meinen Arm. Der andere aber stocherte ungerührt mit seinem Kurzdolch zwischen seinen faulen Zähnen herum. Pfui Teufel, dachte ich angeekelt. Sollte er mir später die Klinge an den Hals setzen, würde ich wahrscheinlich kotzen müssen.
»Und wer bürgt dafür, dass so ein Bürschchen wie du wahrhaftig der Sohn des Richters ist?«, nuschelte der Zahnstocher und musterte Daniel verächtlich von unten nach oben.
»Ich«, sagte Jakob und trat einen Schritt vor. »Als Mönch des Benediktinerordens vom Michaelsberg zu Bamberg schwöre ich bei Gott, er sagt die Wahrheit.«
Wären meine Arme nicht wie in einer seltsamen Yogaübung auf dem Rücken verdreht, ich hätte sie abgeknutscht: Jakob sowieso liebend gerne, aber auch Daniel. Wie die beiden sich für mich einsetzten, war echt der Hammer! Das hat noch kein Junge vorher getan, dachte ich schwärmerisch. Durch die rosa Wölkchen in meinem Kopf hörte ich die wohlbekannte innere Kritikerstimme spotten, dass ich im Jahr 2012 auch noch nie im Polizeigriff zweier bewaffneter Soldaten gehangen hatte, aus dem ich dringend befreit werden musste. Ich machte eine abwehrende Bewegung mit den Schultern, um die lästige Stimme in meinem Kopf zu vertreiben.
Der Soldat, der sich bis dahin ein finsteres Blickduell mit Jakob geliefert hatte, schien sich wieder an seine Pflicht zu erinnern, denn der Griff um meinen Oberarm verstärkte sich erneut. Ich biss die Zähne zusammen.
»Euch glaube ich kein Wort«, fuhr er Jakob an. »Weiß ich, ob Ihr die seid, als die Ihr Euch ausgebt? Ein junger Bursche im Samtwams und ein Mönch, der noch ein halbes Kind ist …«, fügte er verächtlich hinzu. Mit einem Nicken zu seinem Kumpel zerrte er mich mit sich.
»Nein, das dürft Ihr nicht«, rief Jakob, und Daniel stellte sich den beiden erneut in den Weg. Während Daniel noch mal wiederholte, wer er war, und energisch verlangte, sich erst selbst vom Tod seines Vaters zu überzeugen, winkte ich Jakob mit einer Kopfbewegung zu mir heran. Nachdem ich mich mit einem schnellen Blick überzeugt hatte, dass die Aufmerksamkeit der Soldaten momentan dem heftig gestikulierenden Daniel galt, flüsterte ich hastig: »Das kaiserliche Mandat! Es liegt irgendwo im Innenhof! Förg hat es verloren, als er über die Brüstung gestürzt ist. Du musst es unbedingt finden, Jakob! Nur so kann Dorothea noch gerettet werden! Und ich auch!«
Jakob nickte. Unvermittelt drängte er die Wachen beiseite und stürmte in den Hof des Castrums.
»Heda, Kerl! Sofort zurück!«, schrien die Soldaten, doch weil sie mich nicht loslassen wollten, konnten sie nichts tun. Mit einem hastig geflüsterten: »Wir holen dich dort heraus, Cat. Dich und Dorothea. Hab keine Angst«, eilte Daniel Jakob hinterher.
Der eine Soldat fluchte ärgerlich, doch sein Kumpan mit den schlechten Zähnen spuckte nur erneut aus und sagte verächtlich: »Lass die zwei doch laufen. Was gibt’s da drin schon zu holen? Höchstens den zerschmetterten Körper des alten Richters. Das erspart uns einen Haufen Arbeit.«
Sein Kumpel nickte und lachte heiser. Dann rissen sie mich grob auf die Füße, und zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit befand ich mich auf dem Weg ins Drudenverlies. Doch sosehr ich auch auf eine erneute Gelegenheit zur Flucht wartete, diesmal gelang es mir nicht. Und meine Hoffnung, Daniel und Jakob würden uns einholen und die Soldaten dazu bringen, mich freizulassen, war ebenfalls umsonst. Waren die beiden im Hof des Castrums verhaftet worden? Oder – und bei diesem Gedanken machte sich eine eisige Kälte in mir breit – hatten Daniel und Jakob das Mandat nicht gefunden? Angst und Verzweiflung überfielen mich so unvermittelt, als wäre ich gegen eine schwarze Wand gelaufen. In Gedanken rief ich nach dem Purpurnebel, damit er kam und mich in den Zeitstrudel beförderte. Zum ersten Mal wäre ich froh gewesen, in meine Zeit zurückgezogen zu werden. Doch nichts passierte. Der Nebel kam nicht. Aber ich wollte Dorothea ja auch nicht im Stich lassen. Ich hätte sonst mit der schrecklichen Gewissheit leben müssen, sie alleinegelassen zu haben. Also fügte ich mich in mein Schicksal. Offenbar war ich dazu verdammt, im 17. Jahrhundert zu bleiben. Und wenn nicht ein Wunder geschah,
Weitere Kostenlose Bücher