Heike Eva Schmidt
dort auch zu sterben.
Kapitel 17
E in derber Schubs ließ mich nach vorne stolpern. Ich sah feuchte, grobbehauene Wände und spürte eine klamme Kälte, die mir entgegenschlug. Dann fiel die massive Eisentür donnernd ins Schloss. Willkommen im Drudenhaus, dachte ich schaudernd. Um mich herum war es so dunkel, als wäre ich in einen See aus schwarzem Pech getaucht. Ich blieb stocksteif stehen, aus Angst, über eine Ratte zu stolpern oder in ein Loch zu fallen, wenn ich auch nur einen Schritt tun würde. Wie lange ich so verharrte, wusste ich nicht. Die Minuten tropften zäh dahin wie dickflüssiges Kerzenwachs, und ich fragte mich immer wieder, ob dieser Alptraum jemals ein Ende haben würde. Wo blieben Daniel und Jakob? Waren sie vielleicht auch gefangen genommen worden? Schmorte Jakob am Ende schon in einer Zelle neben mir, ohne dass ich es wusste? Mein Atem beschleunigte sich, und der Druck auf meinen Hals wurde stärker. Als sich meine Augen langsam an die finstere Schwärze gewöhnt hatten, blickte ich durch die schmale, vergitterte Luke nach draußen in den anthrazitgrauen Nachthimmel. Wolken zogen wie tanzende Geistergestalten an mir vorbei. Dahinter erschien der Mond als schmale, bleiche Sichel. Genauso, wie er starb, würde auch ich sterben. Entweder würde mich der verfluchte Kupferreif erdrosseln, oder ich würde auf dem Scheiterhaufen enden. Angeklagt wegen Hexerei und des Mordes an Richter Förg. Die Frage war also nicht, ob ich überlebte, sondern, wer schneller war: der Fluch oder die Henkersknechte? Denn dass niemand das Drudenhaus je lebend verlassen hatte, wusste ich nur allzu gut aus den historischen Dokumenten. Die Ausweglosigkeit meiner Lage traf mich wie ein Faustschlag. Ich biss mir auf die Fingerknöchel, um nicht vor Verzweiflung laut zu schreien. Die Wächter sollten nicht auf mich aufmerksam werden. Trotzdem entrang sich meiner Kehle ein jämmerliches Wimmern. Das Heimweh nach meinen Eltern, nach meinem Zimmer und meinem Leben in 2012 bohrte sich so stark in meine Eingeweide, dass ich mich vor Schmerz zusammenkrümmte. Am liebsten hätte ich laut nach meiner Mutter geschrien, auch wenn es vergebens war. Sie konnte mich nicht hören, sie war ja noch nicht einmal geboren.
Ein heißer, salziger Klumpen saß in meiner Kehle, und gerade als die Tränen anfingen zu laufen, hörte ich das rostige Knirschen eines Schlüssels im Türschloss. Mit einem schrillen Kreischen schwang die Tür zu meinem Verlies auf.
»Nun kannst du deiner roten Drudenschwester Gesellschaft leisten, Hexe«, zischte eine raue Männerstimme, dann wurde die Tür erneut zugeworfen.
In den paar Sekunden funzeliger Helligkeit, die vom Gefängnisgang hereinfiel, erhaschte ich einen Blick auf zwei aufgerissene Augen in einem bleichen Gesicht und rotgoldene Strähnen. Das genügte, um zu wissen, wen die Wärter gerade zu mir in die Zelle gestoßen hatten.
»Dorothea?«, flüsterte ich. »Hey, ich bin’s – Cat!«
Ich tastete mich durch die Schwärze und bekam ihre Hand zu fassen. Ihre Finger fühlten sich schmal und kalt an. Ich drückte sie beruhigend, obwohl ich selbst vor Aufregung zitterte.
»Cat? Was tust du hier?«, drang Dorotheas leise Stimme an mein Ohr.
»Die Soldaten des Castrums haben mich erwischt, als ich neben Förgs Leiche stand«, sagte ich. »Er ist vom Turm gestürzt, und dummerweise konnte ich nicht schnell genug abhauen …«
»Förg ist tot?«, unterbrach mich Dorothea aufgeregt. »Aber dann wird doch alles gut!«
»Ja, das hatte ich auch gehofft«, erwiderte ich bitter. »Leider sieht es alles andere als gut für uns aus.«
»Was ist geschehen?«, fragte Dorothea atemlos.
»Förg hatte ein kaiserliches Mandat aus Wien bei sich, das die sofortige Aussetzung aller Hexenprozesse befiehlt. Das Ding lag nach Förgs Sturz irgendwo im Innenhof. Ich habe Daniel und Jakob gesagt, sie sollen danach suchen, aber …«
»Daniel und meinem Bruder? Die beiden kennen sich? Und du kennst Daniel?«, unterbrach mich Dorothea erneut.
»Das ist eine lange Geschichte, erzähl ich dir ein andermal, okay?«, sagte ich angespannt. »Wichtig ist jetzt nur eins: Dass Daniel und Jakob dieses verf… ich meine, dass sie das Mandat auftreiben und schnellstens hierherkommen, ehe uns noch Schlimmeres passiert, als hier in diesem Moderverlies zu schmoren!«
»Aber Förg ist tot! Gretes Fluch hat sich also erfüllt. Was soll uns noch geschehen?«, rief Dorothea.
Mich riss es bei ihren Worten fast von den Füßen. »Fluch?
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