Heilige Mörderin: Roman (German Edition)
keinen einzigen Hinweis darauf. Wenn zum Beispiel, wie Kommissar Kusanagi annimmt, eine frühere Geliebte gekommen wäre, hätte Herr Mashiba ihr doch zumindest eine Tasse Kaffee angeboten, oder nicht?«
»Nicht unbedingt. Es könnte ja ein unwillkommener Gast gewesen sein.«
»Aber wie sollte denn so jemand das Gift in den Kessel bekommen? Vor Herrn Mashibas Nase.«
»Vielleicht ist er auf die Toilette gegangen. Eine solche Chance zu nutzen, ist nicht schwierig.«
»In diesem Fall hätte der Täter seinen Plan nicht sehr gut durchdacht. Was, wenn Herr Mashiba nicht auf die Toilette ging?«
»Vielleicht hatte die Person noch einen anderen Plan. Vielleicht hätte sie verzichtet, falls sich keine Gelegenheit ergeben hätte. In dem Fall wäre sie keinerlei Risiko eingegangen.«
»Herr Professor Yukawa«, sagte Utsumi und musterte den Physiker streng. »Auf wessen Seite stehen Sie eigentlich?«
»Komische Frage. Ich stehe auf keiner Seite. Ich analysiere die Fakten, experimentiere gelegentlich damit und versuche, die logische Antwort zu finden. Und zum gegenwärtigen Zeitpunkt steht es schlecht für Ihre Seite.«
Utsumi biss sich auf die Lippen. »Ich revidiere, was ich vorhin gesagt habe. Offen gesagt, halte ich Frau Mashiba fürdie Täterin. Zumindest bin ich überzeugt, dass sie etwas mit dem Tod ihres Mannes zu tun hat. Auch wenn andere mich möglicherweise für stur halten.«
»So kriegerisch? Das sieht Ihnen gar nicht ähnlich.« Yukawa zuckte amüsiert die Schultern. »Der Grund für Ihren Anfangsverdacht waren doch diese Champagnergläser? Sie fanden es seltsam, dass Frau Mashiba sie nicht wieder eingeräumt hatte.«
»Nicht nur das. Frau Mashiba hat am selben Abend von dem Vorfall erfahren. Die Polizei hat ihr eine Nachricht hinterlassen. Ich habe den betreffenden Beamten über den Inhalt der Nachricht befragt. Sie lautete, ihrem Mann sei etwas zugestoßen, und sie solle sich dringend mit uns in Verbindung setzen. Als sie gegen Mitternacht zurückrief, hat der Beamte sie informiert. Selbstverständlich hat er zu diesem Zeitpunkt die Möglichkeit, dass Herr Mashiba ermordet wurde, nicht erwähnt.«
»Ja, und?«
»Am nächsten Morgen ist sie mit dem ersten Flugzeug in Tokio angekommen. Kommissar Kusanagi und ich haben sie abgeholt. Im Wagen rief sie Hiromi Wakayama an. Sie sagte: ›Du musst Schreckliches durchgemacht haben.‹« Utsumi ließ die Szene im Kopf Revue passieren. »Das erschien mir damals sonderbar.«
»Schreckliches durchgemacht, aha.« Yukawa klopfte leicht mit einem Finger auf sein Knie. »Das klingt, als hätte sie, nachdem sie von der Polizei vom Tod ihres Mannes erfahren hatte, noch nicht mit Hiromi Wakayama gesprochen.«
»Genau das will ich damit sagen.« Utsumi lächelte unwillkürlich, weil sich zeigte, dass Yukawa den gleichen Gedanken hatte wie sie. »Frau Mashiba hatte doch Hiromi Wakayamaihren Hausschlüssel gegeben. Obwohl sie schon von ihrem Verhältnis mit ihrem Mann wusste. Da wäre es doch normal gewesen, Hiromi Wakayama anzurufen, sobald sie vom mysteriösen Tod ihres Mannes erfahren hatte. Aber das ist nicht alles. Das Ehepaar Mashiba ist doch mit diesen Ikais befreundet, aber bei denen hat sie sich überhaupt nicht gemeldet. Das ist alles sehr rätselhaft.«
»Und was schließen Sie daraus?«
»Ich glaube, sie hat weder Hiromi Wakayama noch das Ehepaar Ikai angerufen, weil sie es nicht brauchte. Sie wusste über die Umstände beim Tod ihres Mannes Bescheid und hatte es deshalb nicht nötig, Einzelheiten zu erfragen.«
Yukawa grinste und rieb sich mit dem Finger unter der Nase. »Haben Sie mit jemandem über diese Vermutung gesprochen?«
»Ja, mit meinem Vorgesetzten Mamiya.«
»Aber nicht mit Kusanagi?«
»Nein, er hätte sie gleich wieder als zu spekulativ abgetan.«
Yukawa erhob sich stirnrunzelnd und ging zum Waschbecken. »Hören Sie, es ist vielleicht seltsam, wenn gerade ich das sage, aber der Mann ist ein ausgezeichneter Polizist. Und selbst wenn er sich zu der Verdächtigen mehr oder weniger hingezogen fühlt, würde er nie die Vernunft außer Acht lassen. Wenn Sie ihm Ihre Vermutung jetzt mitteilen, wird er natürlich nicht sofort in Ihre Richtung umschwenken. Vielleicht wird er sogar zuerst ein paar Gegenargumente auffahren. Aber er ist kein Mensch, der die Meinung anderer ignoriert. Er wird auf jeden Fall über die Frage nachdenken. Auch wenn die Schlüsse, die er zieht, nicht die sind, die Sie sich wünschen, wird er von da an die Augen
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