Heilige Mörderin: Roman (German Edition)
befürchtet, Utsumi käme in Begleitung eines grimmigen Beamten.
Der zwölf Tatami – etwa zwanzig Quadratmeter – große japanische Raum, in den Frau Tsukui die junge Polizistin nun führte, bildete einen Gegensatz zur westlichen Fassade des Hauses. In der Mitte stand ein großer Chabudai, ein niedriger japanischer Tisch, und an einer Wand befand sich ein buddhistischer Altar.
»Sie haben eine weite Reise hinter sich«, sagte Yoko Tsukui, während sie heißes Wasser in eine Teekanne füllte.
»Ich muss mich entschuldigen. Es muss schmerzlich für Sie sein, nach so langer Zeit noch einmal all diese Fragen über den Tod Ihrer Tochter zu beantworten.«
»Gewiss können Sie verstehen, dass ich nicht gern darüber spreche«, sagte die ältere Dame. »Bitte.« Sie reichte Utsumi eine Schale mit Tee.
»Im Protokoll steht, Sie konnten sich den Selbstmord Ihrer Tochter nicht erklären. Hat sich daran etwas geändert?«
Yoko lächelte traurig und zuckte die Achseln. »Ich hatte nichts bemerkt. Auch ihre Bekannten hatten keine Ahnung. Aber inzwischen glaube ich, dass Junko sich sehr einsam fühlte.«
»Einsam?«
»Meine Tochter zeichnete sehr gern. Also zog sie nach Tokio, um Bilderbuchautorin zu werden. So ganz allein in einer fremden Stadt zu leben muss schwer für sie gewesen sein. Sie kam auch als Kinderbuchautorin nicht richtig voran. Sie war ja schon vierunddreißig. Bestimmt fürchtete sie sich vorder Zukunft. Vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn sie jemanden gehabt hätte, mit dem sie sich hätte aussprechen können.«
Offenbar hatte Yoko Tsukui bis heute keine Ahnung, dass ihre Tochter einen Freund gehabt hatte.
»Junko ist kurz vor ihrem Tod noch einmal hier gewesen, nicht wahr?« Utsumi hatte das der Ermittlungsakte entnommen.
»Ja. Ich fand sie ein bisschen niedergeschlagen, aber dass sie sterben wollte …« Frau Tsukui blinzelte, um die Tränen zurückzuhalten.
»Das heißt, Sie haben miteinander gesprochen wie immer?«
»Ja. Sie sagte, es gehe ihr gut, als ich sie danach fragte.« Yoko Tsukui ließ den Kopf hängen.
Utsumi versuchte sich vorzustellen, wie es wäre, wenn sie, zum Selbstmord entschlossen, zum letzten Mal ihre Mutter besuchen würde.
»Frau Kommissarin?« Yoko Tsukui schaute auf. »Haben sich im Zusammenhang mit Junkos Tod Neuigkeiten ergeben?«
Natürlich beschäftigte sie als Mutter diese Frage am meisten. Aber Utsumi durfte ihr – zumindest zum gegenwärtigen Zeitpunkt – nichts Genaueres über die Ermittlungen sagen.
»Eventuell besteht ein Zusammenhang mit einem anderen Fall. Aber es fehlen uns die Beweise, deshalb bin ich hier.«
»Aha.« Die Antwort schien Frau Tsukui nicht zufriedenzustellen.
»Eigentlich geht es um das Gift«, sagte Utsumi.
Die Brauen der älteren Dame zuckten. »Gift … sagen Sie?«
»Ihre Tochter hat sich vergiftet. Wissen Sie noch, mit welcher Art von Gift?«
Yoko Tsukui blickte sie schweigend an.
»Es war Arsensäure«, sagte Utsumi. »Als mein Kollege Kommissar Kusanagi Sie neulich befragt hat, sagten Sie, Ihre Tochter habe sich mit Schlaftabletten getötet, aber nach unseren Akten war es Arsensäure. Haben Sie das nicht gewusst?«
»Doch … Also … Das war …« Panik spiegelte sich in Frau Tsukuis Gesicht. »War das ein Fehler? Dass ich das mit den Schlaftabletten gesagt habe?«
»Heißt das, es war Ihnen bewusst, dass es keine Schlaftabletten waren, aber Sie haben es trotzdem gesagt?«
Yoko verzog bekümmert das Gesicht. »Entschuldigen Sie«, sagte sie leise. »Ich dachte, inzwischen sei es nicht mehr so wichtig, wie sie sich getötet hat.«
»Sie wollten nicht sagen, dass es Arsensäure war. Gibt es dafür einen Grund?«
Yoko Tsukui schwieg.
»Frau Tsukui, bitte.«
»Entschuldigen Sie.« Junkos Mutter legte beide Hände vor sich auf die Tatami und verbeugte sich tief. »Bitte verzeihen Sie mir. Aber ich habe es einfach nicht übers Herz gebracht …«
Diese unerwartete Reaktion verstörte Utsumi. »Bitte, lassen Sie das doch. Was ist denn los? Was wollen Sie mir sagen?«
Yoko Tsukui hob langsam den Kopf. Sie blinzelte heftig. »Diese Arsensäure befand sich in unserem Haus.«
»Was?«, stieß Utsumi hervor. »Aber in der Akte steht, ihre Herkunft sei unbekannt.«
»Ich habe der Polizei damals gesagt, dass ich nicht wüsste,woher das Gift kam. Ich konnte es einfach nicht sagen. Es tut mir wirklich leid.«
»Einen Moment bitte. Sie sagen also, die Arsensäure befand sich in Ihrem Haushalt.«
»Ja,
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