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Heilige Scheiße - Bonner, S: Heilige Scheiße: Wären wir ohne Religion wirklich besser dran?

Heilige Scheiße - Bonner, S: Heilige Scheiße: Wären wir ohne Religion wirklich besser dran?

Titel: Heilige Scheiße - Bonner, S: Heilige Scheiße: Wären wir ohne Religion wirklich besser dran? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan;Weiss Bonner
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Sinne natürlich. Das weiß Markus aus Berlin inzwischen, doch der Weg zu dieser Erkenntnis war mit etlichen vollen Windeln gepflastert. Wie im Falle einer Vaterschaft üblich, begann für den jungen Industriekaufmann alles mit der frohen Botschaft des Frauenarztes, dass seine Frau Ina schwanger sei. In der folgenden Zeit wurden beide mit Hinweisen auf Gottes Macht in ihrem Leben geradezu überschüttet: Markus’ Schwiegereltern beharrten darauf, dass Kinder ein Geschenk Gottes wären. Befreundete Elternpaare, bei denen das Baby problemlos geflutscht war, sagten, die Geburt sei ein Wunder. Und die Nachbarn schenkten zur Vorbereitung auf den großen Moment ein Buch, dessen Umschlag rosafarbene Wolken zierten. »Kommt ein Kind zur Welt, öffnet sich im Himmel ein Fenster, und ein Engel sieht herab«, stand darin. Für Markus klang dies höchst befremdlich, da er bis jetzt mit Jesus und seinem Clan nie auf Tuchfühlung gegangen war. Nachdem seine Erwartungen aber derart geschürt worden waren, erwartete er die Geburt mit einiger Spannung.
    Endlich war es dann soweit, und Markus erlebte tatsächlich ein Wunder. Allerdings ein blaues. »Du kannst nie tiefer fallen als in Gottes Hand«, hatte ihm seine Schwiegermutter noch mit auf den Weg ins Krankenhaus gegeben. Nun fühlte es sich an, als habe Gott die Hand weggezogen. Markus fiel beim Anblick des vielen Bluts nicht auf weiche Wolken, sondern mit dem Hintern auf den harten Linoleumboden des Kreißsaals. Eine Schwester begleitete ihn zum Luftschnappen vor die Tür. Hinter ihnen erklangen markerschütternde Schreie, so als würde ein wahnsinniger Serienkiller sein Unwesen treiben.
    »Das passiert den meisten Männern beim ersten Mal«, tröstete ihn die Schwester und drückte aufmunternd seinen Arm. Dann schob sie ihn langsam zurück in Richtung Kreißsaal. Die Tür öffnete sich und Markus erblickte Ina, die auf dem Geburtshocker kniete. Zwischen ihren Beinen lugte der Kopf des Kindes hervor, und Markus wurde schon wieder flau im Magen.
    »Ich halt das verdammt noch mal nicht mehr aus!«, brüllte Ina wenig würdevoll. »Jetzt hilf mir doch endlich!«
    Markus versuchte seine Frau zu stützen, so wie sie es im Geburtsvorbereitungskurs gelernt hatten. Himmlische Gefühle kamen allerdings auch dabei nicht in ihm auf.
    »Und jetzt?«, fragte er nach einer Weile planlos.
    »Jetzt nehmen Sie Ihr Kind einfach in den Arm«, sagte die Schwester und reichte ihm ein kleines Bündel. »Sie haben es geschafft!«
    Markus zog das Handtuch, in das seine kleine Tochter eingewickelt war, einen Spalt weit auseinander und blickte in das kleine Gesichtchen. In dem Moment öffnete Leonie zum ersten Mal in ihrem Leben die Augen und sah Markus an. Nun war ihm nicht mehr übel, dafür ergoss sich ungehemmt der River Kwai aus seinen Tränendrüsen. Ja, in diesem Moment kam ihm ihre Geburt tatsächlich vor wie ein Wunder, aber eher wie ein Wunder der Natur, die, wie auch immer, so etwas Schönes zustande brachte.
    Markus erzählt gern von der Ankunft seiner Tochter, denn seitdem sie auf der Welt ist, hat er viel über den Zusammenhang von Kindern und Lebenssinn nachgedacht. Seine unschuldige Vorfreude auf das Wunder der Geburt erscheint ihm im Nachhinein betrachtet wie die unnötige Verklärung von grausamen Tatsachen. »Wenn es Gott wirklich gibt und er wollte, dass Menschen Kinder kriegen, warum hat er dann so ein Gemetzel daraus gemacht?«, sagt er. »Und überhaupt – vier Mal in der Nacht aufstehen ist verdammt anstrengend. Wer darin ein Geschenk Gottes sieht, dem kann man nicht helfen.« Trotzdem hat Leonie ihm die Augen für die wirklich wichtigen Dinge des Lebens geöffnet. »Mir ist auf eine neue, sehr greifbare Art bewusst geworden, dass mein Leben tatsächlich endlich ist, dass aber ein Stück von mir in Leonie weiterleben wird. Und jetzt ist es meine Aufgabe, für sie da zu sein.«
    »Ein ›christliches Kind‹ gibt es nicht; es ist nur das Kind christlicher Eltern.«
    Richard Dawkins
    Auch wer nicht glaubt, braucht eine Orientierung und Fixpunkte im Leben. Wie Markus ziehen viele dabei heutzutage weltlichen Pragmatismus dem religiösen Gedankengebäude vor. Es bedarf auch keiner transzendenten Wunderwelten und paradiesischen Heilsversprechen mehr: In unserer sinnlich erlebbaren Welt gibt es viele säkulare Sinnangebote, allerdings sind sie erlebbar, greifbar, beweisbar, man kann sie fühlen, riechen und schmecken, und sie versprechen das große Glück bereits im Diesseits und nicht

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