Heiliger Bimbam – DuMonts Digitale Kriminal-Bibliothek: Gervase-Fen-Serie (German Edition)
unterbrochen, und wir konnten niemanden erreichen, und wir haben uns nicht getraut, das Haus zu verlassen, für den Fall, daß er noch in der Nähe war. Er hat alles Geld genommen, was wir hatten.«
»Wie lange ist das her?«
»Etwa zehn Minuten.«
»Wissen Sie, in welche Richtung er geflüchtet ist?«
»Nein. Wir haben nichts gesehen. Mummy ist in einem fürchterlichen Zustand.«
»Hören Sie«, sagte der Inspektor. »Würden Sie mir einen Gefallen tun?« Sein sonstiges gelassenes Auftreten war verschwunden und einer forschen, Furcht einflößenden Kälte gewichen.
»Welchen?«
»Gehen Sie zur Wache und berichten Sie meinen Kollegen, was passiert ist. Die werden wissen, was zu tun ist.«
»Ich … ich trau mich nicht. Ich hab zuviel Angst.« Sie zögerte. »Und ich möchte Mummy hier nicht allein lassen.«
»Nehmen Sie sie mit. Sie haben nichts zu befürchten. Savernake ist so damit beschäftigt abzuhauen, daß er sich um Sie keine Gedanken machen wird.« Er blickte sie unverwandt an. »Werden Sie das für mich tun?«
»Ich … Also gut.«
»Braves Mädchen.«
Der Inspektor lief zu seinem Fahrrad zurück und schwang sich auf den Sattel. Vom Tor aus rief er:
»War er zu Fuß?«
»Ja, ich glaube schon.« Er ließ sie verloren und ein wenig hilflos in der Einfahrt stehen.
Es gab drei Wege, die Savernake genommen haben konnte. Der eine führte zurück in die Stadt – ein völlig verwegenes Unterfangen, das selbst für einen Bluff viel zu riskant gewesen wäre. Der zweite führte hinunter zum Hafen, der, wie er sich denken konnte, bewacht wurde; der dritte führte an der Flußmündung entlang und um die Klippen herum nach Tolnmouth. Hier bestand immerhin eine kleine Chance, daß ein Mann zu Fuß von den Posten übersehen wurde, weshalb der Inspektor diesen Fluchtweg für am wahrscheinlichsten hielt. Natürlich würde er auf dem Fahrrad ein wunderbares Ziel für einen einzelnen Schuß aus einem Wäldchen oder Gebüsch abgeben. Aber das Risiko mußte er eingehen. Der Inspektor, normalerweise ein friedfertiger, gelassener Mann, sanft zu seiner Frau und seinen Kindern, ein Bücherfreund, höflich bei der Ausübung seiner polizeilichen Pflichten und in Tolnbridge allgemein beliebt, war jetzt zu einer Furcht einflößenden Maschine geworden, praktisch unempfindlich gegen gewöhnliche Ängste. Sarkastisch gestand er sich ein, daß er vermutlich weniger wagemutig wäre, wenn er der Gejagte wäre, anstatt den Hasen mit der Meute zu hetzen. Aber er erinnerte sich auch an die vielen unliebsamen Eigenschaften seiner Beute und wappnete sich innerlich gegen jenes Mitleid für den Besiegten, das bei einem Engländer unweigerlich aufkommt. Er liebte England, ohne groß darüber nachzudenken, und seine Abscheu gegen Menschen, die seinem Land Schaden zufügen wollten, war heftiger, als er sich eingestehen wollte. Außerdem sah er England gern als einen starken Fels im Kampf gegen Feinde von außen, und er wollte nicht zulassen, daß es durch Verrat von innen geschwächt wurde; das verletzte seinen Sinn für Symmetrie. » Je haïs «, hätte er vielleicht gesagt, wäre er des Französischen mächtig gewesen, » le mouvement qui déplace les lignes. «
Er war froh, daß er seine Waffe dabeihatte. Einzig und allein bei Schießübungen gab er sich solchen Gefühlen wie Haß und Abneigung gänzlich hin. Dann stellte er sich so gut er konnte vor, irgendeine böse Macht vernichten zu müssen; das Ziel wurde zu seinem persönlichen Feind, und er feuerte darauf, als sei es ein Konglomerat aller Mächte der Unterdrückung – Kapitalismus, Faschismus, Bolschewismus (nur selten wurde er genauer) –, verkörpert durch dunkle, schemenhafte, ungeheuer bedrohliche Gestalten. Es war die einzige Form von Tagträumerei, die er sich erlaubte, aber sie machte ihn besonders gefährlich, wenn er seine Waffe und ein legitimes Ziel hatte, auf das es zu schießen galt.
Derweil war es ungemein heiß.
Eine Viertelstunde später war er oben auf den Klippen angekommen, in der Nähe des stillgelegten Steinbruchs, den Geoffrey und Frances noch am Morgen auf ihrem Spaziergang gesehen hatten. Möglicherweise hatte er Savernake auf dem Weg dorthin übersehen. Aber er wußte, daß eine halbe Meile weiter Polizeiposten standen, und er beschloß, zwischen den Stechginsterbüschen hindurch auf eine kleine Hügelkuppe zu steigen, um von dort Ausschau zu halten. Und genau in dem Moment, als er sein Fahrrad hinlegte, das ihm auf dem unwegsamen Pfad nichts
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