Heiliger Bimbam – DuMonts Digitale Kriminal-Bibliothek: Gervase-Fen-Serie (German Edition)
letzteres wurde jetzt als Lagerraum, für Chorproben und allerlei sonstige Zwecke genutzt. Das Tor, das auf beiden Seiten in Pfosten aus weichem, zitronengelbem Stein eingehängt war, öffnete sich auf einen deprimierenden Anblick von Sträuchern und Rasenflächen; mitten hindurch führte eine überwucherte Kieszufahrt zur Vordertür, dann am Haus vorbei zu dem ausgedehnten Gemüsegarten dahinter und weiter hinauf zum Kathedralenhügel. Geoffrey betrat diese Gefilde mit Vorsicht und musterte einen verwelkten Rhododendronbusch so aufmerksam, als erwartete er, daß ihm daraus Ungemach drohte.
In diesem Reich des Zölibats hörten sie als erstes eine junge Frauenstimme. »Josephine!« rief sie; dann etwas lauter und mit gereiztem Unterton: »Komm zurück!«
Es erklangen laufende Schritte, und ein junges Mädchen, dem diese Rufe ganz offensichtlich gegolten hatten, kam keuchend um die Hausecke herum gerannt. Sie war höchstens fünfzehn, und sie war groß, schlank und sie zitterte, die hellen, goldfarbenen Locken völlig zerzaust. Ihr Gesicht war gerötet, nicht nur vor Anstrengung, sondern auch vor spürbarem Zorn. Sie blieb wie angewurzelt stehen, als sie die Fremden sah, und nachdem sie sie einen Augenblick lang angestarrt hatte, sprang sie seitlich ins Gebüsch, von wo aus das leiser werdende Geraschel schlaffer Pflanzen ihren Rückzug signalisierte.
Sie trotteten weiter Richtung Haupteingang, ein wenig mitgenommen durch die Begrüßung und in beklommener Erwartung eines häuslichen Streits. Bereits nach wenigen Schritten tauchte auch die Person, zu der die Stimme gehörte, im gemächlichen Verfolgungstempo auf. Und eine solche Person, dachte Geoffrey bei sich, erwartete man nun ganz sicher nicht im Gästehaus einer Diözese: Sie war eine junge Frau von etwa dreiundzwanzig Jahren, so dunkel, wie das junge Mädchen blond gewesen war, mit blauen, humorvollen Augen, einer Stupsnase, roten Lippen und einem schlanken, geschmeidigen Körper. Ihr Kleid, obwohl durchaus elegant und schicklich, und ihre hochhackigen Pumps vermittelten, so dachte Geoffrey, ganz schwach den Eindruck einer Kurtisane. Nicht, daß ihn das störte. Da er wenig Erfahrung mit Frauen hatte, ordnete er sie, und zwar a priori , entweder als Amateurprostituierte oder als Haushaltshilfe ein, und jede, die nicht nahtlos in eine dieser Kategorien paßte, löste bei ihm Verunsicherung, Mißtrauen und Verständnislosigkeit aus (diese Form männlicher Unfähigkeit ist verbreiteter, als Frauen sich das vielleicht vorstellen). In diesem Fall war ganz sicher eine Prise Hetäre, Lais oder Phryne, vorhanden; doch andererseits war auch eine praktische Seite, Selbstbeherrschung und Intelligenz spürbar, die diesen Eindruck abschwächten und zerstreuten.
Im Grunde seines Herzens hatte Geoffrey Angst vor Frauen. Seine Bemühungen, diejenigen, die er kennengelernt hatte, entweder als Kurtisane oder als Haushaltshilfe zu kategorisieren, hatte zu schrecklichen Mißverständnissen geführt, da er noch keiner einzigen Frau begegnet war, die auch nur im entferntesten mit einer der beiden Kategorien Ähnlichkeit hatte. Zudem schlug er sich als Folge seiner Bücherlektüre mit dem Irrglauben herum, daß jede unverheiratete Frau, die er kennenlernte, mit allen Tricks und Schlichen ihres verderblichen und geheimnisvollen Geschlechts auf der Jagd nach einem Ehemann war, und er beglückwünschte sich insgeheim, um Haaresbreite so einigen Frauen entkommen zu sein, die jedoch in Wahrheit nicht einmal mit dem Gedanken gespielt hatten, ihn zu heiraten, sondern ihn lediglich als praktischen vorübergehenden Kavalier benutzt und ihm die ehrenhafte Freundlichkeit ihres Geschlechts geboten hatten: einen Gutenachtkuß nach einem auf seine Kosten genossenen Abend. Nachdem er die Dreißig überschritten hatte, war er jenen rätselhaften Wesen mehr und mehr aus dem Weg gegangen. Folglich näherte er sich diesem neuen Exemplar der Spezies mit einem unguten Gefühl, das durch den offensichtlichen Charme der jungen Frau noch verstärkt wurde.
»Verflixte Göre!« sagte sie und gab die Verfolgung auf.
»War sie unartig?« sagte Fielding schlicht. Er stellte die Frage mit der Unbefangenheit und Autorität eines Menschen, der zutiefst höflich ist und gerade deshalb nicht mehr auf die Förmlichkeiten angewiesen, die dem Schließen einer Bekanntschaft gemeinhin vorausgehen.
Die junge Frau reagierte ebenso unbefangen und selbstsicher. »Meinen Sie, man sollte Kindern den Hintern versohlen?«
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