Heiliger Bimbam – DuMonts Digitale Kriminal-Bibliothek: Gervase-Fen-Serie (German Edition)
Stützpfeilern und dem schlanken, spitz zulaufenden Kirchturm den Fluß überragt. Die Wirkung wäre überwältigend, wenn die beiden unten in der Stadt befindlichen kleineren Kirchen nicht wären, deren Türme, die sich in dem hehren, aber erfolglosen Versuch recken, ihrer größeren Schwester nachzueifern, ein wenig das Gleichgewicht wiederherstellen und das Auge beruhigen. Hinter der Kathedrale neigt sich der Hügel sanfter wieder hinab zum neueren Teil der Stadt, in dem sich der Bahnhof und die Farbenfabrik befinden und dessen Häuser sich um die Nordseite herum erstrecken, wo sie sich mit der Altstadt verbinden, während sie nach Süden hin in einer Reihe von teuren und weitläufigen Villen mit Blick auf die Flußmündung auslaufen.
Man mag sich wundern, daß Tolnbridge nicht das Schicksal von Crediton teilte und dem Bischof von Exeter unterstellt wurde. Aber Exeters Diözese war bereits groß genug, und Tolnbridge durfte Kathedralenstadt bleiben. Rund siebzig Jahre nach ihrer Erbauung begab sich ein Tolnbridger Talgmacher namens Ephraim Pentyre, ein Geizhals und berüchtigter Wucherer, der aber viel Geld an die Kirche spendete, weil er annahm, sich so einen Logenplatz bei den himmlischen Festivitäten reservieren zu können, über die Küstenstraße auf eine Pilgerfahrt nach Canterbury (wo er, wäre er am Ziel angekommen, möglicherweise Chaucers Pilgern begegnet wäre). Er war allerdings so geizig, daß er auf Diener zu seinem Schutz verzichtete, was zur Folge hatte, daß er hinter Weymouth überfallen, ermordet und postwendend seiner Opfergabe für das Grab des St. Thomas beraubt wurde. Diese Nachlässigkeit und Knauserigkeit brachte ihm seine Heiligsprechung ein, denn seine Gebeine wurden zurück nach Tolnbridge übergeführt und sehr feierlich in der Kathedrale beigesetzt, wo sie aufgrund der ihnen nachgesagten Wunderheilkräfte Wallfahrer aus dem ganzen Land anlockten. Edward III. höchstpersönlich besuchte das Grab, um sich von Skorbut heilen zu lassen (nachdem seine eigenen legendären Fähigkeiten in dieser Richtung offenbar versagt hatten), mit welchem Erfolg, ist nicht bekannt. Das war die Blütezeit von Tolnbridge, was die Einwohner uneingeschränkt begrüßten, obwohl sie sich an St. Ephraim mit Abscheu erinnerten und obwohl ihm vielfach noch schlimmere und finsterere Vergehen als Geiz angelastet worden waren.
Danach setzte ein allmählicher, aber unaufhaltsamer Niedergang ein. Tolnbridge lag zu abseits, um eine Rolle in den großen politischen und kirchlichen Unruhen zu spielen, die das Land bis zum Ende des 18. Jahrhunderts heimsuchten, wenngleich unter den Einwohnern des Ortes wegen ebendieser Streitfragen gelegentlich kleine symbolische Kriege ausgefochten wurden, die nur allzu oft mit Gewalt und Greueltaten einhergingen. Der Übergang von der Marienverehrung zum Protestantismus vollzog sich ohne große Aufregung, dies, wie manche sagten, wohl auch deshalb, weil die alte Religion weiter fortbestehen und in Gestalt geheimer und scheußlicher Rituale schlimme Formen annehmen konnte. Derlei Mutmaßungen erhielten vor allem dadurch Nahrung, daß es Anfang des 17. Jahrhunderts zu einem gewaltigen Anstieg von Hexenprozessen kam, ausgelöst durch einen gleichermaßen gewaltigen Anstieg von Hexerei und Teufelsanbetung, wobei etliche Geistliche der Diözese eine unrühmliche Rolle spielten. Es ist tatsächlich zweifelhaft, ob es in der europäischen Geschichte je eine derart konzentrierte, leidenschaftliche und (nach damaligen Maßstäben) gerechtfertigte Verfolgung gab; täglich fanden auf dem Hügel der Kathedrale Verbrennungen statt, und einige hundert Frauen – ein merkwürdiges Phänomen bei den meisten Hexenprozessen – gestanden freiwillig, also nicht unter Folter, sie hätten Geschlechtsverkehr mit dem Teufel gehabt und an Schwarzen Messen teilgenommen. Nach einigen Jahren legte sich die Aufregung, wie immer bei solchen Dingen, und zurück blieb nichts als der geschwärzte Kreis, der sich in den Hang des Hügels geschnitten hatte, und die Eisenstange, an der man die Frauen festgebunden hatte, bevor sie verbrannt wurden. Von da an blieb Tolnbridge von Unruhen verschont, und im Jahre 1939 war es ein beschauliches Städtchen und schien sich in einem Zustand dauerhafter Erstarrung zu befinden.
Das zumindest behauptete Geoffrey, mit kraftvolleren Worten, als es ihm nicht gelang, am Bahnhof ein Taxi zu ergattern. Tatsächlich ist die Bemerkung überliefert: »Was für ein verdammtes Kaff!«
Das
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