Heiliger Zorn
Zone zu zeigen. Vom Netzquallenölhändler musste ich mir die immer wieder gleichen Vorträge über die ökonomischen Vorteile anhören, die sich aus dem rigorosen Programm der Mecsek-Regierung ergeben würden. Mit dem Priester unterhielt ich mich gar nicht, weil ich mir nicht überlegen wollte, wie ich anschließend die Leiche dieses Arschlochs verschwinden lassen sollte.
Auf der Strecke von Erkezes zum Golf kamen wir zügig voran, und als wir eintrafen, waren keine Anzeichen für einen Sturm zu erkennen. Ich fühlte mich von meinen üblichen Grübelposten vertrieben, als die anderen Passagiere herauskamen, um die neue Erfahrung des warmen Wetters und der Sonne zu genießen, die stark genug war, um die Haut zu bräunen. Man konnte ihnen deswegen keinen Vorwurf machen – der Himmel war von Horizont zu Horizont durchgängig blau, und Daikoku und Hotei standen hoch. Eine kräftige Brise aus dem Norden sorgte dafür, dass die Temperatur angenehm blieb, und spritzte Gischt von der gekräuselten Meeresoberfläche über die Decks. Im Westen war gerade noch zu erkennen, wie sich die Wellen weiß an den großen gebogenen Riffs brachen, den Vorboten der Küste des Golfs von Kossuth weiter im Süden.
»Es ist wunderschön, nicht wahr?«, sagte eine leise Stimme neben mir, als ich an der Reling stand.
Ich warf einen Blick zur Seite und sah die Frau des Priesters, die auch in diesem Wetter Schleier und ein knöchellanges Gewand trug. Sie war allein. Ihr Gesicht, beziehungsweise das, was ich davon sehen konnte, war zu mir emporgeneigt, und ihre Augen blickten aus dem straffen Kreis des Schleiers, der unter dem Mund und über den Augenbrauen ansetzte. Die Haut war in der ungewohnten Hitze mit Schweißperlen besetzt, aber sie schien sich dadurch nicht irritieren zu lassen. Das Haar hatte sie sorgfältig zurückgekämmt, sodass nicht das winzigste Strähnchen unter dem Stoff hervorschaute. Sie war sehr jung, wahrscheinlich kaum zwanzig. Außerdem war sie, wie ich bemerkte, seit mehreren Monaten schwanger.
Ich wandte mich ab, kniff plötzlich die Lippen fest zusammen.
Konzentrierte mich auf den Blick über die Reling.
»Ich bin noch nie so weit nach Süden gereist«, fuhr sie fort, als sie erkannte, dass ich nicht auf ihren Eröffnungszug reagieren würde. »Sie?«
»Ja.«
»Ist es hier immer so heiß?«
Ich sah sie noch einmal mit mattem Blick an. »Es ist nicht heiß. Sie sind nur unangemessen gekleidet.«
»Ah.« Sie legte die Hände auf die Reling und schien ihre Handschuhe genau zu mustern. »Sie finden es nicht richtig?«
Ich zuckte die Achseln. »Das hat nichts mit mir zu tun. Wir leben in einer freien Welt, falls Sie das noch nicht wussten. Zumindest sagt Leo Mecsek es.«
»Mecsek.« Sie tat, als würde sie den Namen ausspucken. »Er ist genauso korrupt wie alle anderen. Wie alle Materialisten.«
»Ja, aber eins sollte man ihm lassen. Falls seine Tochter jemals vergewaltigt wird, ist es unwahrscheinlich, dass er sie zu Tode prügeln würde, weil sie ihn entehrt hat.«
Sie zuckte zusammen.
»Sie reden über ein Einzelereignis. Hier geht es nicht…«
»Vier.« Ich zeigte ihr meine ausgestreckten Finger und hielt sie ihr vors Gesicht. »Ich rede von vier Einzelereignissen. Und das nur in diesem Jahr.«
Ich sah, wie sich ihre Wangen röteten. Sie schien auf ihren leicht vorgewölbten Bauch zu blicken.
»Der Neuen Offenbarung sind nicht immer jene am dienlichsten, die sich am meisten als Fürsprecher hervortun«, murmelte sie. »Viele von uns…«
»Viele von Ihnen folgen im gehorsamen Kriechgang, in der Hoffnung, etwas halbwegs Lohnenswertes von den weniger psychotischen Direktiven Ihres gynozidalen Glaubenssystems abzuschaben, weil sie entweder nicht den Verstand oder den Mut haben, etwas völlig Neues aufzubauen. Ich weiß.«
Nun war sie bis zu den Wurzeln ihres penibel versteckten Haars errötet.
»Sie schätzen mich falsch ein.« Sie berührte ihren Schleier. »Ich habe mich dafür entschieden. Frei entschieden. Ich glaube an die Offenbarung. Sie ist meine Konfession.«
»Dann sind Sie offenbar noch dümmer, als Sie aussehen.«
Wütendes Schweigen. Ich benutzte es dazu, den kurz in mir auflodernden Zorn wieder unter Kontrolle zu bringen.
»Ich bin also dumm? Weil ich mich für eine weibliche Existenz in Bescheidenheit entschieden habe, bin ich dumm. Weil ich mich nicht bei jeder sich bietenden Gelegenheit zur Schau stelle und entwürdige, wie es diese Hure Mitzi Harlan und ihresgleichen tun,
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