Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heiliger Zorn

Heiliger Zorn

Titel: Heiliger Zorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
versuch gar nicht erst, mich dazu zu überreden. Es ist schon zu lange her.«
    Trotzdem verspürte ich in der schnell zunehmenden Dunkelheit um mich herum wieder das Familiengefühl, das ich zuvor im Frachtcontainer empfunden hatte. Wie Wärme aus der Vergangenheit.
    Wie nicht allein sein.
    Der Reißflügler und ich saßen zusammengekauert ein halbes Dutzend Meter voneinander entfernt da und sahen uns gegenseitig schweigend an, während die Nacht anbrach.

 
21
     
     
    Am nächsten Tag fuhren wir kurz nach Mittag in den Hafen von Newpest ein und krochen mit penibler Vorsicht auf einen Anlegeplatz zu. Der ganze Hafen war voll mit Hoverladern und anderen Gefährten, die vor der Sturmgefahr im östlichen Golf geflüchtet waren, und die Hafenverwaltungssoftware hatte sie nach einem kontraintuitiven mathematischen Muster angeordnet, für das die Tochter des Haiduci kein Interface besaß. Japaridze übernahm manuell das Ruder, verfluchte die Maschinen im Allgemeinen und die Hafenmeister-KI im Besonderen, während wir uns durch das scheinbar zufällig strukturierte Schiffsdickicht schlängelten.
    »Scheiß-Updates hier und Updates da. Wenn ich ein beschissener Techjunkie sein wollte, hätte ich mich für einen Job bei den DeComs beworben.«
    Wie ich hatte er einen leichten, aber hartnäckigen Kater.
    Auf der Brücke verabschiedeten wir uns voneinander, und ich ging hinunter aufs Vorderdeck. Ich warf mein Gepäck an Land, während wir an den Andockleinen weiter herangekurbelt wurden, und sprang über die sich verengende Lücke zwischen Reling und Kai. Ein paar der Umstehenden warfen mir Blicke zu, aber ich erregte keine Aufmerksamkeit beim uniformierten Personal. Wenn ein Sturm am Horizont drohte und der Hafen bis auf den letzten Anlegeplatz belegt war, hatte die Hafensicherheit andere Sorgen als jemanden, der unvorschriftsmäßig von Bord ging. Ich hob meine Tasche auf, hängte sie mir über die Schulter und fädelte mich in den spärlichen Strom der Passanten auf dem Kai ein. Die Hitze senkte sich feucht über mich. In wenigen Minuten hatte ich den Hafen verlassen, war schweißüberströmt und winkte ein Autotaxi heran.
    »Binnenhafen«, sagte ich zu ihm. »Charterterminal, aber schnell.«
    Das Taxi wendete und tauchte wieder in den Verkehr auf den Hauptstraßen durch die Stadt ein. Newpest entfaltete sich vor mir.
    Im Verlauf meiner Besuche während der letzten paar Jahrhunderte hatte es sich sehr verändert. Flache Gebäude hatten die Stadt geprägt, in der ich aufgewachsen war, wie das Land, in der sie lag. Sturmsichere Einheiten mit stumpfen Profilen und große Ballonkammerstrukturen hatten sich über den Isthmus zwischen dem Meer und dem großen sumpfigen See ausgebreitet, aus dem später die Tang-Lagune geworden war. Damals hatte über ganz Newpest der Duft von Belatang und der Gestank der verschiedenen Industrieprozesse gelegen, in denen es verarbeitet wurde, wie die Mischung aus Parfüm und Körperausdünstungen bei einer billigen Hure. Beidem konnte man nur entfliehen, wenn man die Stadt verließ.
    Aber genug der Jugenderinnerungen.
    Als die Siedlerkriege allmählich zu Geschichte geworden waren, brachte die Rückkehr zum relativen Wohlstand neues Wachstum, vor allem entlang des inneren Ufers der Lagune und der langen Krümmung der Küste sowie hinauf in den tropischen Himmel. Die Gebäude im Zentrum von Newpest waren in die Höhe gewachsen, getragen vom verstärkten Vertrauen in die Wetterverwaltungstechnik und eine gedeihende, wohlhabende Mittelklasse, die in der Nähe ihrer Investitionen wohnen, sie aber nicht riechen wollte. Als ich damals zu den Envoys gegangen war, wurden die Umweltgesetze über die Luftqualität auf Bodenniveau gelockert, und nun gab es hier Wolkenkratzer, die alles übertrafen, was man in Millsport sehen konnte.
    Danach waren meine Besuche unregelmäßiger erfolgt, und ich hatte nicht genau darauf geachtet, wann genau und warum sich der Trend umgekehrt hatte. Ich wusste nur, dass es jetzt Viertel im Süden der Stadt gab, in die der Gestank zurückgekehrt war, und die mutigen neuen Entwicklungsgebiete an der Küste und an der Lagune brachen Kilometer um Kilometer zusammen und verfielen zu Industrieslums. Im Zentrum wurden die Straßen von Bettlern gesäumt, und vor den meisten größeren Gebäuden standen bewaffnete Sicherheitskräfte. Als ich aus dem Seitenfenster des Autotaxis blickte, bemerkte ich ein Echo gereizter Anspannung in der Art, wie sich die Menschen bewegten – etwas, das

Weitere Kostenlose Bücher