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Heiliger Zorn

Heiliger Zorn

Titel: Heiliger Zorn Kostenlos Bücher Online Lesen
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zurückhalten
    »Ja, ich arbeite daran!«
    daran… Es klang wie eine Frage.
    »Ja, ich sagte…«
    da draußen sind Flügel… tausend Flügel schlagen, und eine ganze Welt zerbricht…
    Nun wurde die Stimme schwächer wie ein schlecht eingestellter Radiokanal, zog sich schwankend, flatternd in die Stille zurück.
    zerbricht von einem Ende zum anderen…es ist wunderschön, Micky…
    Und Ende.
    Ich wartete, ließ das Telefon sinken und wog es in der Hand. Verzog das Gesicht und schob es zurück in die Hosentasche.
    Suzi Petkovski warf mir einen Blick zu.
    »Schlechte Neuigkeiten?«
    »Ja, so könnte man es ausdrücken. Lässt sich das Tempo erhöhen?«
    Sie hatte den Blick wieder auf das Wasser vor dem Bug gerichtet. Zündete sich einhändig eine neue Zigarette an.
    »Nein. Das wäre nicht sicher.«
    Ich nickte und dachte noch einmal über die Botschaft nach, die ich soeben erhalten hatte.
    »Und was würde es kosten, wenn es nicht mehr sicher wäre?«
    »Das Doppelte?«
    »Gut. Machen Sie es.«
    Ein grimmiges Lächeln sickerte aus ihrem Mundwinkel. Mit einem Achselzucken kniff sie die Glut der Zigarette ab und klemmte sich den Rest hinters Ohr. Sie streckte den Arm über die Cockpitinstrumente aus und tippte auf mehrere Bildschirme. Radarbilder wurden maximiert. Sie schrie Mikhail etwas in einem Magyar-Straßendialekt zu, der zu tief in meiner Vergangenheit versunken war, um mehr als die oberflächliche Bedeutung aufschnappen zu können. Geh nach unten und nimm die Hände von…
    irgendetwas? Er bedachte sie mit einem missmutigen Blick, löste sich mühsam von der Reling und ging nach hinten in die Kabine.
    Dann wandte sie sich wieder mir zu, doch nun war ihr Blick ganz auf die Kontrollen konzentriert.
    »Sie auch. Suchen Sie sich da hinten lieber einen Sitzplatz. Wenn ich Tempo machte, dürften wir gut durchgeschüttelt werden.«
    »Ich kann mich festhalten.«
    »Ja, aber es wäre mir lieber, wenn Sie bei ihm wären. So haben Sie jemanden, mit dem Sie reden können. Dazu werde ich nämlich jetzt zu beschäftigt sein.«
    Ich dachte an die Ausrüstung, die ich in der Kabine verstaut hatte. Navigationsprogramme, eine Unterhaltungskonsole, Stromfluss-Modifikatoren. Kabel und Anschlüsse. Ich dachte auch an das Verhalten des Jungen und wie er sich an den Anschlüssen im Nacken gekratzt hatte, an sein generelles erschlafftes Interesse an der Welt. Plötzlich ergab es auf eine Weise Sinn, die mir zuvor noch nicht bewusst geworden war.
    »Klar«, sagte ich. »Ist immer gut, jemanden zum Reden zu haben, nicht wahr?«
    Sie antwortete nicht. Vielleicht war sie schon zu sehr in die dunklen Spektralfarben der Radarbilder unseres Kurses durch die Lagune vertieft. Oder in etwas ganz anderes. Ich ließ sie damit allein und ging nach achtern.
    Über mir eröffneten die Turbinen ein irres Kreischen.

 
23
     
     
    Irgendwann steht die Zeit auf der Tang-Lagune still.
    Es fängt damit an, dass man Einzelheiten registriert – das gewölbte Wurzelsystem eines Tepes-Dickichts, das wie die halb verwesten Knochen eines ertrunkenen Riesenhumanoiden über die Oberfläche hinausragt, seltsame klare Stellen im Wasser, wo der Belatang sich nicht anzusiedeln gewagt hat und man bis auf den blassen, smaragdfarbenen Sandgrund hinunterschauen kann, die heimliche Erhebung einer Schlammbank, vielleicht ein vor Jahrhunderten aufgegebener Erntekajak, der noch nicht vollständig von Sakate-Moos überwuchert war. Aber diese Sehenswürdigkeiten sind selten, und mit der Zeit wird der Blick wieder zum großartigen flachen Horizont gezogen. Und danach, ganz gleich, wie oft man versucht, sich wieder auf Einzelheiten zu konzentrieren, fühlt es sich an, als gäbe es einen Sog in die Ferne, dem sich der Blick nicht entziehen kann.
    Man sitzt da und horcht auf die Melodie der Turbinen, weil es sonst nichts anderes zu tun gibt. Man beobachtet den Horizont und taucht in die eigene Gedankenwelt ab, weil man sonst nirgendwo hingehen kann.
    … beeil dich…
    Ich verlasse mich auf dich, Micky. Du kümmerst dich um sie, sie, sie, sie…
    Sie. Sylvie, mit der silbergrauen Mähne. Ihr Gesicht…
    Ihr Gesicht, auf subtile Weise verändert durch die Frau, die herausgekrochen war und es ihr gestohlen hat. Ihre Stimme, auf subtile Art moduliert…
    Ich habe keine Ahnung, ob oder wann Sylvie Oshima zurückkommt.
    Nadia, ich versuche zu helfen, verdammt!
    Sie fragt sich, wer dieser beschissene Micky Dusel wirklich ist und ob es in seiner Umgebung sicher ist. Ob er sie bei

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