Heiliger Zorn
werden von Zeit zu Zeit die Träume ausgetrieben, nicht wahr? Und wenn das nicht wehtut, können es nur zweitklassige Träume gewesen sein.«
Sie verzog den Mund. »Aber du zitierst sie immer noch, wie ich feststelle.«
»Ich paraphrasiere. Korrigiere mich bitte, wenn ich falsch liege, Virginia, aber ist es nicht so, dass keine Aufzeichnungen existieren, dass jemals ein Backup von Nadia Makita gemacht wurde?«
»Es existieren auch keine Aufzeichnungen über irgendein Backup von Takeshi Kovacs. Dennoch scheint es da draußen eins zu geben.«
»Erinnere mich bloß nicht daran. Aber hier geht es um die verdammte Harlan-Familie, und man sieht sofort einen Grund, warum sie es tun würden. Man sieht, welchen Nutzen es hätte.«
Sie warf mir einen Seitenblick zu. »Es freut mich, dass dein Aufenthalt auf Sanction IV dein Ego nicht beschädigt hat.«
»Ich bitte dich, Virginia! Ich bin ein Ex-Envoy, ich bin ein Killer. Ich bin nützlich. Es ist nur schwer zu verstehen, warum die Harlan-Familie ein Backup von der Frau machen sollte, die beinahe ihre gesamte Oligarchie zerstört hätte. Und was, zum Teufel, soll man davon halten, dass eine Kopie von jemandem, der historisch so lebenswichtig ist, im Schädel einer DeCom-Lebenskünstlerin mit Plankton-Intelligenz landet?«
»Von Plankton-Intelligenz kann wohl kaum die Rede sein.« Sie stocherte wieder im Sand herum. Die Flaute in der Konversation hielt an. »Takeshi, du weißt, dass Yaros und ich…«
»Ja, hab mit ihm gesprochen. Er hat mir gesagt, wo ich dich finden würde. Er sagte, ich soll dich von ihm grüßen, falls ich dich sehe. Er hofft, dass es dir gut geht.«
»Wirklich?«
»Nun ja, eigentlich hat er gesagt: Scheiße, was soll’s? Aber ich höre gewissermaßen zwischen den Zeilen. Also hat es nicht funktioniert?«
Sie seufzte. »Nein.«
»Willst du darüber reden?«
»Es hätte keinen Sinn. Alles ist schon ziemlich lange her.« Ein bösartiger Stoß in den Sand mit dem Flaschenrückenstock. »Ich fasse es nicht, dass er immer noch nicht damit fertig ist.«
Ich zuckte die Achseln. »Wir müssen darauf vorbereitet sein, in Zeiträumen zu leben, von denen unsere Vorfahren nur träumen konnten, wenn wir unsere Träume verwirklichen wollen.«
Diesmal war der Blick, mit dem sie mich bedachte, mit einem hässlichen Zorn befleckt, der überhaupt nicht zu ihren zarten neuen Gesichtszügen passte.
»Versuchst du etwa, witzig zu sein?«
»Nein, ich stelle nur fest, dass das Quellisten-Gedankengut eine breite Palette von…«
»Halt die Klappe, Tak.«
Das Envoy-Corps hatte nie allzu viel von traditionellen Autoritätsmodellen gehalten, zumindest nicht in der Weise, wie sie für die meisten Menschen galten. Aber die Gewohnheit, die Annahme, dass es sich lohnte, auf seine Ausbilder zu hören, war nur schwer zu durchbrechen. Und wenn man Gefühle gehabt hatte, die schon beinahe…
Egal.
Ich hielt die Klappe. Lauschte den Wellen.
Etwas später wehten rostige Saxofontöne aus dem Haus zu uns herüber. Virginia Vidaura stand auf und blickte zurück, die Züge etwas besänftigt, während sie ihre Augen mit einer Hand beschattete. Im Gegensatz zu vielen der Surfer-Behausungen, die ich am Vorabend auf diesem Abschnitt des Strips gesehen hatte, war Brasils Haus gebaut und nicht aufgeblasen worden. Spiegelholzpfosten fingen das rasch stärker werdende Sonnenlicht auf und glänzten wie riesige geschliffene Klingen. Die verwitterten Flächen dazwischen boten ruhigere Schattierungen in ausgelaugtem Kalksteinweiß und Grau. Doch in allen vier Stockwerken der meerseitigen Zimmer blinzelten uns die Fenster mit großen Augen zu.
Ein falscher Saxofonton schlug eine Delle in die stockende Melodie.
»Autsch.« Ich zuckte zusammen, was vielleicht etwas übertrieben war. Die plötzliche Sanftheit in ihrem Gesicht hatte mich aus einer ungewohnten Richtung erwischt.
»Zumindest versucht er es«, sagte sie leise.
»Ja. Auf jeden Fall dürfte jetzt jeder wach sein.«
Sie sah mich wieder von der Seite an, derselbe unerlaubte Blick. Sie verzog unwillig den Mund.
»Weißt du, dass du ein echtes Arschloch bist, Tak?«
»Das hat man mir schon ein- oder zweimal gesagt. Und was gibt’s hier so zum Frühstück?«
Surfer.
Man findet sie so ziemlich überall auf Harlans Welt, weil es so ziemlich überall auf Harlans Welt Ozeane gibt, die Wellen machen, für die man sterben könnte. Und für etwas sterben können hat hier verschiedene Bedeutungen. Wie gesagt, 0,8 Ge und drei
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