Heiliger Zorn
Blick.
»Ja, das bin ich also.«
Er senkte momentan den Blick, aber das war es nicht. Er musterte mich von oben bis unten. Für einen Moment trat Schweigen ein.
»Sie haben mit ihr gesprochen?«
»Ja.« Meine Stimme wurde ein Stück sanfter. Ich hatte seine Anspannung falsch interpretiert. Es war keine Feindseligkeit. »Ich habe mit ihr gesprochen.«
Im Innern des Hoverladers herrschte unerwartete Geräumigkeit und natürliches Licht. In Kampfgefährten dieser Art war es normalerweise recht eng, aber Soseki Koi hatte viel Zeit gehabt, das zu ändern. Wände waren herausgerissen worden, und an einigen Stellen hatte man das Oberdeck entfernt, um fünf Meter tiefe Lichtschächte zu schaffen. Die Sonne strömte durch die wenigen Sichtluken und die offenen Heckschotts herein oder zwängte sich durch Risse in der Panzerung, die auf Kampfschäden oder Absicht zurückzuführen sein mochten. Eine Flut pflanzlichen Lebens drängelte sich um diese offenen Bereiche, quoll aus aufgehängten Körben und rankte sich an Verstrebungen im Skelett der Aufbauten hinauf. Illuminiumplatten waren an manchen Stellen sorgfältig ersetzt worden, während sie anderswo zerfielen. Irgendwo gluckerte unsichtbar über Stein fließendes Wasser im geduldigen Kontrapunkt zu den Bassschlägen der Meeresbrandung.
Koi ließ uns auf Polstermatten um einen niedrigen, ordentlich gedeckten Tisch am Grund eines Lichtschachts Platz nehmen. Er servierte uns mit Ansätzen der Zeremonie alter Schule, was die Autoküche des Hovers hergab, die hinter ihm auf einem Regal stand und noch recht gut zu funktionieren schien. Die Auswahl an Grillfleisch und Bratnudeln ergänzte er durch eine Kanne mit Belatang-Tee und Obst aus eigener Ernte von den Pflanzen über uns – Weinpflaumen und dicke, dreißig Zentimeter lange Kossuth-Kettenbeeren. Brasil bediente sich von allem mit dem Appetit eines Mannes, der den ganzen Tag im Wasser verbracht hatte. Ich stocherte nur ein wenig in meinem Essen herum und nahm gerade so viel zu mir, dass es nicht unhöflich wirkte, abgesehen von den Kettenbeeren, die zum Besten gehörten, was ich jemals gekostet hatte. Koi hielt sich steif mit Fragen zurück, solange wir aßen.
Schließlich warf Brasil den letzten abgezupften Kettenbeerenstrunk auf seinen Teller, wischte sich die Finger an einer Serviette ab und nickte mir zu.
»Erzähl es ihm. Ich habe ihm zwar schon die wichtigsten Bröckchen hingeworfen, aber es ist deine Geschichte.«
»Ich…« Ich blickte über den Tisch mit den Nahrungsresten und sah den Hunger, der mir gegenübersaß. »Nun ja, es ist schon eine Weile her. Ein paar Monate. Ich war oben in Tekitomura. Geschäftlich. Ich war in dieser Hafenbar, der Tokyo-Krähe. Sie war…«
Es fühlte sich seltsam an, davon zu erzählen. Seltsam, und wenn ich ehrlich war, sehr distanziert. Als ich nun auf meine eigene Stimme horchte, war es selbst für mich plötzlich nur schwer zu glauben, welchen Weg ich seit dieser Nacht voller spritzendem Blut und schreiender Halluzinationen verfolgt hatte, hinaus auf das von Maschinen heimgesuchte Ödland von New Hok und wieder zurück nach Süden, auf der Flucht vor einem Doppelgänger. Ritterlichkeit in Hafenbars, hektischer schizophrener Sex und wiederholte Flüge über das Wasser in Gesellschaft einer geheimnisvollen und geschädigten Frau mit Haar aus lebendem Stahl, Schießereien an Berghängen mit den Scherben meiner selbst inmitten der Ruinen unseres marsianischen Erbes. Sylvie hatte richtig gelegen, als sie mich im Schatten des Krans Micky getauft hatte. Es war die pure Experia.
Kein Wunder, dass Radul Segesvar große Schwierigkeiten hatte, mit dem klarzukommen, was ich getan hatte. Der Mann, der vor zwei Jahren hilfesuchend zu ihm gekommen war, hätte ungläubig laut gelacht, wenn man ihm die Geschichte von konfusen Loyalitäten und abwegigen Umleitungen erzählt hätte.
Nein, du hättest nicht gelacht.
Du hättest vor dich hingestarrt und kaum zugehört, in kalter Distanz, und an etwas ganz anderes gedacht. An das nächste Gemetzel der Neuen Offenbarung, an das Blut auf der Klinge eines Tebbit-Messers, eine steilwandige Grube draußen in der Tang-Lagune und ein kreischendes Geschrei, das ewig anhält…
Du hättest die Geschichte mit einem Achselzucken abgetan, ob sie nun wahr wäre oder nicht, zufrieden mit dem, was du stattdessen hattest.
Aber Koi nahm sie ohne Kommentar in sich auf. Als ich innehielt und ihn ansah, stellte er keine Fragen. Er wartete geduldig, und
Weitere Kostenlose Bücher