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Heiliger Zorn

Heiliger Zorn

Titel: Heiliger Zorn Kostenlos Bücher Online Lesen
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ich spürte, wie sich ein gedankenverlorenes Lächeln auf mein Gesicht stahl.
    Reiß dich zusammen, Tak. Das sind nur die Chemikalien.
    Am anderen Ende des Kais, unter einem stillgelegten Roboterkran, schimmerte das Streulicht auf ihrem Haar, als sie sich umdrehte. Erneut warf ich auf der Suche nach Verfolgern einen Blick über die Schulter, aber die Tür zur Bar blieb geschlossen. Gedämpfte Laute sickerten knapp über der Hörschwelle meiner billigen Synthetik-Ohren nach draußen. Es konnte Lachen, Weinen oder so ziemlich alles andere sein. H-Granaten waren auf lange Sicht recht unschädlich, aber solange ihre Wirkung anhielt, neigte man dazu, das Interesse an rationalem Denken und Handeln zu verlieren. Ich bezweifelte, dass innerhalb der nächsten halben Stunde jemand herausfinden würde, wo sich die Tür befand, ganz zu schweigen davon, wie man sie öffnete.
    Von automatischen Andockkabeln gezogen prallte das Käscherschiff dumpf an die Kaimauer. Gestalten sprangen von Bord und redeten lachend miteinander. Unbemerkt trat ich in den Schatten des Krans. Ihr Gesicht schwamm wie eine Geistererscheinung im Zwielicht. Eine bleiche, wölfische Schönheit. Das Haar, das ihre Züge einrahmte, schien vor nur halb sichtbarer Spannung zu knistern.
    »Ganz schön geschickt mit dem Messer.«
    Ich zuckte die Achseln. »Übung.«
    Sie musterte mich. »Synthetiksleeve, biocodierte Klinge. Sind Sie ein DeCom?«
    »Nein. Nichts in dieser Richtung.«
    »Nun, dann sind Sie sicherlich…« Ihr abschätzender Blick hielt inne, als er die Stelle erreichte, an der mein Mantel die Wunde bedeckte. »Scheiße, die haben Sie erwischt.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Andere Party. Schon eine Weile her.«
    »Tatsächlich? Für mich sieht es aus, als könnten Sie einen Arzt gebrauchen. Ich hab ein paar Freunde, die…«
    »Ist die Sache nicht wert. Ich bin hier in ein paar Stunden raus.«
    Sie zog die Augenbrauen hoch. »Resleeving? Dann haben Sie bessere Freunde als ich. Sie machen es mir ziemlich schwer, meine giri zu begleichen.«
    »Vergessen Sie’s. Geht aufs Haus.«
    »Aufs Haus?« Sie machte etwas mit ihren Augen, das mir gefiel. »Was sind Sie? Leben Sie vielleicht in irgendeinem Experia? Micky Nozawa in…? Der Robotersamurai mit dem Menschenherz?«
    »Ich glaube, den habe ich nicht gesehen.«
    »Nein? Sein Comeback-Film, vor etwa zehn Jahren.«
    »Hab ich verpasst. Ich war verreist.«
    Aufregung am anderen Ende des Kais. Ich fuhr herum und sah, dass die Bartür weit offen stand. Im Gegenlicht konnte ich Gestalten in schweren Jacken ausmachen. Neue Kundschaft vom Käscherschiff verdarb die Granatenparty. Schreie und hohes Gewinsel blubberten in die Nacht hinaus. Neben mir spannte sich die Frau wortlos an, den Kopf in einem Winkel geneigt, der auf unbestimmbare, pulstreibende Art gleichzeitig sinnlich und wölfisch wirkte.
    »Jetzt rufen sie an«, stellte sie fest, und ihre Haltung lockerte sich wieder, genauso unvermittelt und ökonomisch, wie sie sich angespannt hatte. Sie schien in die Schatten zurückzufließen. »Ich verschwinde. Ich… ähm… Danke. Vielen Dank. Tut mir Leid, wenn ich Ihnen den Abend verdorben habe.«
    »Fing sowieso nicht besonders vielversprechend an.«
    Sie ging ein paar Schritte, dann hielt sie inne. Zwischen dem gedämpften Gewimmer aus der Bar und den Geräuschen der Säuberungsstation meinte ich zu hören, wie sich etwas Schweres auflud, ein leises, hartnäckiges Heulen im Gewebe der Nacht, das Gefühl, dass sich Möglichkeiten verlagerten, als würden Menschen in Monsterkostümen hinter einem Bühnenvorhang in Stellung gehen. Das Licht, das durch die Streben des Krans fiel, malte eine zersplitterte weiße Maske auf ihr Gesicht. Ein Auge glänzte silbrig.
    »Haben Sie schon einen Schlafplatz, Micky-san? Für ein paar Stunden, haben Sie gesagt. Was haben Sie bis dahin vor?«
    Ich spreizte die Finger. Plötzlich wurde ich mir des Messers in meiner Hand bewusst. Ich steckte es weg.
    »Keine Pläne.«
    »Keine Pläne?« Kein Lüftchen wehte vom Meer heran, aber ich hatte trotzdem den Eindruck, dass sich ihr Haar leicht bewegte. Sie nickte. »Und auch keinen Schlafplatz, nicht wahr?«
    Ich zuckte erneut die Achseln und kämpfte gegen die wogende Unwirklichkeit des H-Granaten-Absturzes an, vielleicht noch gegen etwas anderes. »So sieht es in etwa aus, ja.«
    »Aha. Sie haben also vor, für den Rest der Nacht mit der Polizei und den Barten Fangen zu spielen und die Sonne möglichst in einem Stück aufgehen zu

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