Heiliger Zorn
Biester denn niemals Ruhe?«
Die Erinnerung traf mich im gleichen Augenblick wie der Schock, sodass sich beide gegenseitig aufhoben. Ich drehte den Kopf zur Seite und sah Virginia Vidauras elfenhafte Züge zusammengedrückt unter einem Kissen, das sie sich auf den Kopf gepresst hatte. Ihre Augen waren noch geschlossen.
»Fütterungszeit«, sagte ich mit klebrigem Mund.
»Klar, nur dass ich mich nicht entscheiden kann, wer mehr nervt. Die Viecher oder die verdammten Idioten, die sie füttern.« Sie öffnete die Augen. »Guten Morgen.«
»Dir ebenfalls.« Erinnerungen an die vergangene Nacht, wie sie vorgebeugt auf mir gesessen hatte. Bei diesem Gedanken richtete sich unter dem Laken mein Schwanz wieder auf. »Ich hätte nicht gedacht, dass dies jemals in der realen Welt geschehen würde.«
Sie sah mich kurz an, dann drehte sie sich auf den Rücken und starrte zur Decke hinauf.
»Ich auch nicht.«
Die Ereignisse des vergangenen Tages schwappten träge an die Oberfläche. Wie ich Vidaura wiedergesehen hatte, in der Schnauze von Segesvars unauffälligem Skimmer hockend, als das Gefährt auf der unruhigen See unter den massiven Ladekränen der Floßstadt anlegte. Das Morgenlicht von der Öffnung am Heck war noch nicht so tief zwischen die Rümpfe vorgedrungen, und sie war kaum mehr als eine Silhouette mit Waffe in der Hand und abstehenden Haaren gewesen, als ich durch die Wartungsschleuse hinunterstieg. Ihre Gestalt hatte eine beruhigende funktionale Härte, aber als der Scheinwerfer kurz über ihr Gesicht strich, als wir an Bord gingen, sah ich darin etwas anderes, das ich nicht definieren konnte. Sie erwiderte meinen Blick für einen Moment, bevor sie wegschaute.
Kaum jemand sagte etwas während der Skimmerfahrt durch den frühmorgendlichen Golf. Es wehte ein stetiger Wind aus westlicher Richtung, und über allem lag ein kaltes Metalllicht, was nicht zur Konversation ermutigte. Als wir uns der Küste näherten, rief Segesvars Schmugglerkapitän uns alle nach drinnen, und ein zweiter junger haiduci mit hartem Gesicht schwang sich auf den Geschützturm des Skimmers. Wir saßen schweigend in der engen Kabine und lauschten auf die Veränderung der Tonhöhe des Motors, als wir kurz vor dem Strand langsamer wurden. Vidaura wählte den Platz neben Brasil, und im Zwielicht, wo sich ihre Knie berührten, sah ich, wie sie sich an den Händen hielten. Ich schloss die Augen, lehnte mich im unbequemen Sitz aus Metall und Riemen zurück und rekonstruierte im Geist unsere Fahrtroute, damit ich etwas zu tun hatte.
Vom Ozean runter, einen schäbigen, mit Abwässern vergifteten Strand hinauf, irgendwo am Nordende von Vchira, außer Sichtweite, wenn auch nur knapp, der Vorstadt-Skyline von Newpest, von deren Baracken das Gift rohrweise hergepumpt wurde. Niemand war so blöd, zum Schwimmen oder Fischen hierher zu kommen, niemand, der den stumpfnasigen, schwer beschürzten Skimmer hindurchrauschen sah. Über die dahinterliegenden ölfleckigen Schlammebenen, durch die erstickten und absterbenden Schwimmblätter und dann auf die eigentliche Lagune. Im Zickzack durch die endlose Belatang-Suppe bei standardmäßiger Verkehrsgeschwindigkeit, um sich einen Weg zu bahnen, drei Halte an verschiedenen Erntestationen, auf jeder Angestellte mit haiduci-Verbindungen, und nach jeder eine Kursänderung. Einsamkeit und das Ende der Reise in Segesvars fernem Heim, der Pantherfarm.
Wir brauchten fast den ganzen Tag. Ich stand auf dem Dock an der letzten Erntestation, wo wir gehalten hatten, und sah zu, wie die Sonne hinter Wolken unterging, die wie ein blutiger Gazeverband über der Lagune hingen. Unten auf dem Deck des Skimmers unterhielten sich Brasil und Vidaura mit ruhiger Intensität. Sierra Tres war noch drinnen; als ich das letzte Mal nachgesehen hatte, tauschte sie haiduci-Tratsch mit der zweiköpfigen Besatzung des Gefährts aus. Koi war anderswo beschäftigt, telefonierte. Die Frau in Oshimas Sleeve spazierte um einen Ballen trocknenden Tangs herum, der so hoch wie wir beide zusammen war, bis sie vor mir stehen blieb und meinem Blick zum Horizont folgte.
»Netter Himmel.«
Ich brummte.
»Das ist etwas, woran ich mich gut erinnere. Der Abendhimmel über der Lagune. Als ich damals bei der Tangernte 69 und 71 mitarbeitete.« Sie ließ sich mit dem Rücken am Ballen hinuntergleiten, bis sie saß, und blickte auf ihre Hände, als würde sie nach Spuren der Arbeit suchen, von der sie sprach. »Natürlich haben sie uns an den meisten Tagen
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