Heiliger Zorn
unwahrscheinliche Landschaft aus gewellten grünen Wiesen zu sehen war. Auf der anderen Seite des Zimmers neben der Tür wurde die Skizze einer langhaarigen Frau in gleicher aufrechter Haltung ausgemalt, bis sie wie Oshimas Sleeve aussah.
Wir standen eine Weile da und sahen uns an, dann nickte ich. Irgendetwas daran schien nicht zu stimmen, denn sie runzelte die Stirn.
»Bist du dir sicher, dass du es tun willst? Du musst es nicht tun, weißt du.«
»Ja, ich bin mir sicher.«
»Ich erwarte nicht…«
»Nadia, es ist kein Problem. Ich bin dazu ausgebildet worden, in einem neuen Sleeve auf einem fremden Planeten einzutreffen und sofort damit zu beginnen, die Bewohner zu töten. Das hier kann nicht schwieriger sein.«
Sie zuckte die Achseln. »Okay.«
»Also gut.«
Sie kam durch den Raum auf mich zu und blieb einen knappen Meter von mir entfernt stehen. Sie neigte den Kopf, sodass die silbergraue Mähne langsam nach vorn rutschte und ihr Gesicht bedeckte. Die zentrale Strähne glitt auf die Seite ihres Schädels und hing dort wie ein verkümmerter Skorpionschwanz, umwoben von feineren Fäden. In diesem Moment sah sie wie ein Archetypus der Unheimlichkeit aus, den meine Vorfahren über die Abgründe des Weltraums von der Erde mitgebracht hatten. Sie sah wie ein Gespenst aus.
Ihre Pose richtete sich auf.
Ich atmete einmal tief durch und hob die Hände. Meine Finger teilten das Haar vor ihrem Gesicht wie einen Vorhang.
Dahinter war nichts. Keine Gesichtszüge, keine Struktur, nur ein Loch aus dunkler Wärme, die sich zu mir hin auszudehnen schien wie ein negativer Feuerschein. Ich beugte mich näher heran, und die Dunkelheit öffnete sich an ihrer Kehle, schälte sich langsam zurück, entlang der vertikalen Achse ihrer erstarrten Gestalt. Sie wurde bis zum Unterleib aufgespalten und dann noch weiter; sie öffnete sich genauso zwischen den Beinen. Gleichzeitig spürte ich, wie mein Gleichgewicht in winzigen Schritten kippte. Der Boden des Hotelzimmers folgte, dann auch das Zimmer selbst; es schrumpfte wie ein benutztes Papiertuch in einem Strandlagerfeuer. Die Wärme stieg rund um mich auf und roch leicht nach Statik. Darunter war einförmige Schwärze. Die eisernen Locken in meiner linken Hand verflochten sich und verdickten sich zu einem rastlosen schlangengleichen Strick. Daran hing ich über der Leere.
Nicht die Augen aufmachen, nicht die linke Hand öffnen, überhaupt nicht bewegen.
Ich blinzelte, möglicherweise aus Trotz, und packte die Erinnerung weg.
Verzog das Gesicht und ließ los.
Wenn es ein Fall war, fühlte es sich nicht so an.
Es war kein Luftstrom spürbar, und es gab auch sonst nichts, was auf eine Bewegung hindeutete. Sogar mein Körper war unsichtbar. Der Strick schien verschwunden zu sein, sobald ich die Hand davon wegnahm. Ich hätte genauso gut in einer Gravkammer schweben können, die nicht größer war, als ich die Arme ausstrecken konnte, nur dass mir meine Sinne irgendwie die Präsenz eines riesigen ungenutzten Raums um mich herum signalisierten. Es war, als wäre ich eine Nieseltrudlerspore, die in der Luft eines ausgeräumten Lagerhauses auf Kohei-Belawolle Neun trieb.
Ich räusperte mich.
Blitze zuckten über mir und blieben dort. Reflexartig griff ich hinauf, und meine Finger streiften zarte Fäden. Die Perspektive rastete abrupt ein – das Licht war kein Feuer in einem unvorstellbar hohen Himmel, es waren winzige Zweige ein paar Zentimeter über meinem Kopf. Ich nahm sie behutsam in die Hand und drehte sie um. Das Licht wurde abgewischt, wo meine Finger Druck ausübten. Ich ließ los, worauf es in Brusthöhe vor mir hing.
»Sylvie? Bist du da?«
Dadurch erhielt ich eine Oberfläche unter den Füßen und ein Schlafzimmer, das in spätnachmittägliches Licht getaucht war. Die Ausstattung machte den Eindruck, dass es einem Kind von vielleicht zehn Jahren gehörte. An den Wänden hingen Holos von Micky Nozawa, Rili Tsuchiya und verschiedenen anderen Pin-up-Stars, die ich nicht erkannte. Außerdem gab es einen Schreibtisch, ein Datengitter unter einem Fenster und ein schmales Bett. Eine Spiegelholzplatte an einer Wand ließ das kleine Zimmer viel größer erscheinen, ein begehbarer Schrank auf der gegenüberliegenden Seite öffnete sich zu einer unordentlichen Masse aus Kleidung, unter der sich auch Kostüme und Gewänder in höfischem Stil befanden. Ein Glaubensbekenntnis der Entsagenden klebte an der Tür, aber es löste sich bereits an einer Ecke.
Ich schaute aus dem
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