Heiliger Zorn
erwischt haben. Las, möchtest du dir langsam mal deinen Lohn als Blinzelfisch verdienen?«
»Klar.« Lazlo blinzelte mir zu und schwang sich von seinem Platz hinter Kiyoka. Er verschränkte die Finger und drückte sie durch, bis die Knöchel knackten. »Bist du aufgeladen, Großer?«
Orr nickte und stieg ab. Er ließ das Gepäckfach unterm Trittbrett aufschnappen und holte eine fünfzig Zentimeter lange Brechstange heraus. Lazlo grinste wieder.
»Also, meine Damen und Herren, bitte anschnallen und zurücktreten. Sensoren an.«
Und weg war er. Mit langen, federnden Schritten folgte er der Krümmung des Tunnels, wobei er sich dicht an der Wand in Deckung hielt, bis er das Fahrzeugwrack erreichte. Dann huschte er zur Seite – im Dämmerlicht schien er nicht mehr Substanz zu haben als sein eigener Schatten. Orr stapfte hinter ihm her, eine rohe Affenmenschengestalt, die in der Linken die Brechstange hielt. Ich warf einen Blick zurück auf Sylvies Gondel. Sylvie hatte sich weit vorgebeugt und die Lider halb geschlossen. Auf ihrem Gesicht war die sonderbare Mischung aus Abwesenheit und Zielstrebigkeit zu erkennen, die signalisierte, dass sie im Netz beschäftigt war.
Es war ein geradezu poetischer Anblick.
Lazlo griff mit einer Hand nach dem Fahrzeugwrack und zog sich mit dem beiläufigen Geschick eines Affen aufs Dach. Oben angekommen, erstarrte er mit leicht schief gelegtem Kopf. Orr hielt an der Tunnelbiegung inne. Sylvie murmelte etwas kaum Hörbares, und sofort setzte sich Lazlo wieder in Bewegung. Ein einziger Sprung brachte ihn auf den Tunnelboden zurück. Dann ging er direkt in den Laufschritt über, schnitt die Kurve und hielt auf etwas zu, das ich von meiner Position aus nicht sehen konnte. Orr kletterte mit steifem Oberkörper, die Arme ausgebreitet, um das Gleichgewicht zu halten, über das Wrack. Er blickte in die Richtung, in die der Blinzelfisch verschwunden war. Einen Sekundenbruchteil und ein paar schnelle entschlossene Schritte später war auch er außer Sicht.
Sekunden verstrichen. Wir saßen im blauen Zwielicht und warteten.
Sekunden verstrichen.
»… was, zum Teufel, ist denn nun…?«
Sylvies Stimme klang verwirrt. Während sie aus der Verbindung auftauchte und wieder die Sinneseindrücke der wirklichen Welt die Vorherrschaft übernahmen, ging ihre Stimme langsam in normale Gesprächslautstärke über. Sie blinzelte ein paarmal und sah sich zu Kiyoka um.
Die Frau erwiderte ihren Blick hilflos. Erst jetzt wurde mir klar, dass auch sie dabei gewesen war, dass sie Teil des Balletts gewesen war, das ich gerade beobachtet hatte – im Bereitschaftsmodus, ihr Körper halb erstarrt im Sattel, während ihre Augen den Rest des Teams über Lazlos Schulter begleiteten.
»Verdammt, woher soll ich das wissen, Sylvie?«
»Na schön.« Der Blick unseres Kommandokopfs wandte sich mir zu. »Scheint sicher zu sein. Kommt jetzt, wir sehen uns das mal an.«
Wir lenkten die Gondeln vorsichtig um die Tunnelbiegung und stiegen ab, um uns anzusehen, was Lazlo und Orr entdeckt hatten.
Die Gestalt, die im Tunnel kauerte, war nur im Entferntesten Sinne menschenähnlich. Auf dem Rumpfgehäuse des Dings saß zwar ein Kopf, aber das Einzige, was es ansatzweise humanoid erscheinen ließ, war der Umstand, dass die Außenhülle aufgerissen worden war und teilweise den Blick auf die darunterliegenden empfindlicheren Systeme freigab. Am höchsten Punkt der Maschine hatte ein Haltering die Zerstörung überstanden und hing jetzt an ein paar verbliebenen Streben wie ein Heiligenschein über dem Kopf.
Das Ding hatte auch Gliedmaßen, und zwar etwa an den Stellen, an denen man sie auch bei einem Menschen erwartete. Allerdings waren es so viele, dass sie eher an ein Insekt als an ein Säugetier erinnerten. Auf einer Seite des Rumpfes hingen zwei der vorhandenen Arme bewegungslos herab, während ein dritter fast völlig verbrannt und zerstört war. Auf der anderen Seite war ein Arm ganz ausgerissen, wodurch die umliegende Verschalung schwer beschädigt worden war. Zwei weitere waren definitiv zu nichts mehr zu gebrauchen. Sie versuchten immer wieder, sich zu bewegen, aber jedes Mal sprühte ein Funkenregen aus den freiliegenden Schaltkreisen, so lange, bis die Bewegung schließlich zuckend zum Erliegen kam. Das flackernde Licht warf unstete Schatten an die Wand.
Es war nicht genau zu erkennen, ob die unteren vier Gliedmaßen des Dings noch funktionierten. Jedenfalls versuchte es nicht aufzustehen, als wir uns näherten.
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