Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heiliger Zorn

Heiliger Zorn

Titel: Heiliger Zorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
vor Drava erreichen, schneite es. Hier und da war weißes Gestöber zu sehen, und dazwischen spürte man die nasse, beißende Kälte in der Luft. Die Straßen und Dächer der Stadt sahen aus wie mit Insektengift bestäubt, und im Osten türmten sich dichte Wolken auf, die mehr Niederschlag ankündigten. Auf einem der offenen Kanäle verbreitete eine regierungsfreundliche Streudrohne Warnungen vor Mikro-Schneestürmen und gab den Quellisten die Schuld am schlechten Wetter. Als wir die verwüsteten Straßen Dravas betraten, stellten wir fest, dass alles bereits mit einer dünnen Eisschicht überzogen war. Selbst die Regenpfützen waren gefroren. Der Schnee hüllte die Stadt in eine unheimliche Stille.
    »Scheißfrohe Weihnachten«, brummte jemand aus Oishiis Team.
    Lachen, vereinzelt und gedämpft. Die Stille war zu niederdrückend, und Dravas kahles, verschneites Gerippe zu trostlos.
    Unterwegs kamen wir an neu installierten Wachsystemen vorbei. Es handelte sich um Kurumayas Antwort auf die Koop-Eindringlinge vor sechs Wochen, beharrliche Roboterwaffen weit unterhalb der Schwelle für Maschinenintelligenz, die die DeCom-Charta erlaubte. Trotzdem zuckte Sylvie jedes Mal zusammen, wenn Orr die Gondel an einer der kauernden Gestalten vorbeilenkte, und als eine sich ein Stück weit aufrichtete und unsere Freigabesiegel einer zweiten Kontrolle unterzog, wandte sie den leeren Blick ab und verbarg ihr Gesicht an der Schulter des Hünen.
    Ihr Fieber hatte auch nach dem Erwachen nicht aufgehört. Es war lediglich etwas abgeebbt wie eine Welle und hatte sie schutzlos und durchgeschwitzt hochgespült. Am äußersten Rand des Landstreifens, den die Ebbe freigegeben hatte, konnte man immer noch beobachten, wie kleinere Wellen an ihr zerrten. Ich stellte mir das kaum hörbare Rauschen vor, das wahrscheinlich nach wie vor in den Adern an ihren Schläfen ertönte.
    Es war noch nicht vorbei. Nicht mal ansatzweise.
    Durch die verschlungenen, verlassenen Straßen der Stadt. Als wir uns dem Landkopf näherten, nahmen die verfeinerten Sinne meines neuen Sleeves die schwache Witterung des Meeres unter der Kälte auf. Eine Mischung aus Salz, Spuren verschiedener organischer Substanzen, dem allgegenwärtigen Belatang und dem scharfen Plastikgestank der Chemikalien, die in der Flussmündung auf der Wasseroberfläche schwammen. Zum ersten Mal wurde mir bewusst, wie notdürftig der synthetische Geruchssinn gewesen war – nach der Ankunft von Tekitomura war mir keiner dieser Gerüche bewusst gewesen.
    Die Verteidigungssysteme erwachten schlagartig, als wir den Landkopf erreichten. Spinnenwürfel wuchteten sich beiseite, Aktivdraht wogte zurück. Sylvie zog den Kopf zwischen die Schultern und erschauerte, als wir zwischen den Sicherheitssystemen hindurchfuhren. Selbst ihr Haar schien sich dichter an den Kopf anzulegen.
    Überbelastung, hatte Oishiis Teamarzt mit einem Auge am Tomografen diagnostiziert, während Sylvie in stiller Ungeduld unter dem Scanner gelegen hatte. Ganz seetüchtig bist du noch nicht. Ich würde ein paar Monate Entspannung empfehlen, irgendwo, wo es wärmer und zivilisierter ist. Vielleicht in Millsport. Geh zu einer Biotech-Klinik und lass dich durchchecken.
    Sie kochte innerlich. Ein paar Monate? In Scheiß-Millsport?
    Ein teilnahmsloses DeCom-Achselzucken. Sonst wirst du wieder das Bewusstsein verlieren. Wenigstens musst du nach Tekitomura zurück und dich auf Virenspuren untersuchen lassen. In diesem Zustand kannst du nicht im Spiel bleiben.
    Die übrigen Schleicher waren derselben Meinung. Sylvies plötzliches Erwachen änderte nichts daran, dass wir zurückkehrten.
    Dann können wir ein bisschen was von unseren Kreditvorräten verpulvern, bemerkte Jadwiga grinsend. Abfeiern. Nachtleben von Tek’to, wir kommen!
    Vor uns hob sich ruckend das Tor zum Landkopf und gab den Weg in den Komplex frei. Im Verhältnis zum letzten Mal, als wir hier gewesen waren, erschien er geradezu verlassen. Hier und da wanderte eine einsame Gestalt zwischen den Ballonkammern umher und schob Ausrüstungsteile von hier nach dort – für andere Aktivitäten war es zu kalt. Ein paar Überwachungsdrachen flatterten von Wind und Schnee gepeitscht am Kommast. Die meisten hatte man offenbar in Erwartung der Schneestürme eingeholt. Hinter den Ballonkammern konnte man die schneebedeckten Aufbauten eines großen Hoverladers im Hafen aufragen sehen, aber die Kräne um ihn herum waren nicht in Betrieb. Das ganze Lager wirkte wie vor Jahren aufgegeben

Weitere Kostenlose Bücher