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Heiliger Zorn

Heiliger Zorn

Titel: Heiliger Zorn Kostenlos Bücher Online Lesen
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Seite einer Ballonkammer durchs schwindende Zwielicht und rief etwas auf Stripjap. Oishii grinste und antwortete. Beide lachten rau. Hinter uns stieg der Geruch von Holzrauch auf – jemand entzündete ein Feuer. Es war ein typisches DeCom-Lager: provisorisch aufgeblasene und ausgehärtete Ballonkammern aus einem Material, das ebenso schnell wieder zerfallen würde, wenn es an der Zeit war, weiterzuziehen. Abgesehen von den seltenen Stopps in verlassenen Gebäuden wie dem Quellistenhorchposten hatte ich den Großteil der letzten fünf Wochen zusammen mit Sylvies Team unter den gleichen Bedingungen verbracht. Trotzdem herrschte in Oishii Eminescus Umkreis eine entspannte, zwischenmenschliche Wärme, die in deutlichem Gegensatz zu den meisten DeComs stand, denen ich bis dahin begegnet war. Von ihm ging nicht diese jagdhundartige Angespanntheit aus, die ich bei den meisten seiner Kollegen bemerkt hatte.
    »Wie lange bist du schon im Geschäft?«, fragte ich ihn.
    »Oh, eine ganze Weile. Etwas länger, als mir lieb ist, aber…«
    Er zuckte die Achseln. Ich nickte.
    »Aber es macht sich bezahlt. Stimmt’s?«
    Er lächelte schief. »Stimmt. Mein jüngerer Bruder studiert in Millsport Marsianische Artefakttechnologie, und meine Eltern brauchen beide bald ein Resleeving, das sie sich nicht leisten können. So, wie es wirtschaftlich gerade läuft, gibt es keine andere Tätigkeit, mit der ich die Ausgaben decken könnte. Und seit Mecsek die Ausbildungssatzungen und das Sleeve-Pensionssystem geschlachtet hat, heißt es, nur wer bezahlt, kriegt auch was.«
    »Seit ich das letzte Mal hier war, haben sie den Karren ganz schön in den Dreck gefahren.«
    »Warst also weg?« Anders als Plex fragte er nicht weiter nach. Harlans-Welt-Etikette alten Stils – er ging wahrscheinlich davon aus, dass ich selber Initiative zeigen würde, wenn ich ihm erzählen wollte, dass ich Zeit in der Einlagerung abgesessen hätte. Und wenn ich es nicht tat, dann ging es ihn auch nichts an.
    »Ja, etwa dreißig, vierzig Jahre. Hat sich einiges verändert.«
    Er zuckte erneut die Achseln. »Das war schon seit längerem im Kommen. Diese Leute haben von Anfang an alles demontiert, was die Quellisten dem alten Harlan-Regime abgerungen haben. Mecsek ist nur das unappetitliche Spätstadium.«
    »Ein Feind, den man nicht töten kann«, murmelte ich.
    Er nickte und beendete das Zitat für mich. »Man kann ihn nur in die Tiefen zurücktreiben und seine Kinder lehren, die Wellen im Auge zu behalten, die seine Rückkehr ankündigen.«
    »Dann hat wohl jemand nicht richtig auf die Wellen geachtet.«
    »Das ist nicht das Problem, Mick.« Die Arme verschränkt blickte er nach Westen ins erlöschende Tageslicht. »Die Zeiten haben sich seit damals einfach geändert, das ist alles. Welchen Sinn hat es, das Regime der Ersten Familien – oder irgendein anderes – zu stürzen, wenn das Protektorat anschließend die Envoys bei einem ablädt, um sich für den Ärger zu bedanken?«
    »Da ist was dran.«
    Er grinste, diesmal mit einer Spur echter Belustigung. »Da ist nicht nur was dran, sam. Darum dreht sich alles. Das ist der große Unterschied zwischen damals und heute. Wenn das Envoy Corps schon zu Zeiten der Siedlerkriege existiert hätte, dann hätte der Quellismus bestenfalls sechs Monate lang überlebt. Man kann nicht gegen diese Scheißkerle kämpfen.«
    »Auf Innenin haben sie verloren.«
    »Ja, und wie oft haben sie seitdem verloren? Innenin war ein kleiner Ausrutscher, ein kleiner Schmutzfleck auf einer einzigen großen Erfolgsgeschichte. Mehr nicht.«
    Einen Moment lang stürzte die Erinnerung brüllend auf mich ein. Jimmy de Soto, schreiend, wie er sich die Reste seines Gesichts mit Fingern zerkratzt, die bereits ein Auge herausgerissen haben und wahrscheinlich auch das andere kriegen werden, wenn ich nicht…
    Ich unterdrückte es.
    Ein kleiner Ausrutscher. Ein Fleck auf einer einzigen großen Erfolgsgeschichte.
    »Vielleicht hast du Recht«, sagte ich.
    »Vielleicht habe ich das«, stimmte er mir leise zu.
    Danach standen wir eine Weile schweigend da, während die Nacht anbrach. Der Himmel war inzwischen so weit aufgeklart, dass man den abnehmenden Daikoku auf dem Zackenkamm der nördlichen Berge sehen konnte. Der volle, aber weit entfernte Marikanon hing wie eine hochgeworfene Kupfermünze über unseren Köpfen, und der aufgedunsene Hotei war noch nicht über den westlichen Horizont gestiegen. Hinter uns brannte das Feuer jetzt stetiger. Umrahmt vom

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