Heiliger Zorn
und verlassen.
»Am besten geht ihr gleich zu Kurumaya und redet mit ihm«, sagte Oishii und stieg von seiner verschlissenen Ein-Personen-Gondel ab, während sich das Tor hinter uns senkte. Er ließ den Blick über sein und unser Team schweifen. »Besorgt euch Schlafplätze. Ich schätze mal, dass es derzeit ziemlich voll hier ist. Ich glaube nicht, dass irgendwelche der heutigen Neuankömmlinge in den Einsatz gehen, solange das Wetter nicht aufklart. Sylvie?«
Sylvie zog ihren Mantel enger um sich. Ihr Gesicht wirkte ausgezehrt. Sie hatte eindeutig keine Lust, mit Kurumaya zu sprechen.
»Ich mach das, Chef«, bot sich Lazlo an. Mit dem unversehrten Arm stützte er sich unbeholfen auf meine Schulter und sprang von der Gondel, die ich mir mit ihm teilte. Überfrorener Schnee knirschte unter seinen Füßen. »Ihr könnt ja Kaffee besorgen oder so.«
»Toll«, sagte Jadwiga. »Und lass dir vom alten Shig nicht das Leben schwer machen, Las. Wenn unsere Story ihm nicht gefällt, kann er sich selber ficken.«
»Ja, das sag ich ihm.« Lazlo verdrehte die Augen. »Nicht. He, Micky, kommst du mit und gibst mir etwas moralische Unterstützung?«
Ich blinzelte. »Äh… ja. Klar. Ki, Jad? Nimmt jemand von euch die Gondel?«
Kiyoka glitt vom Rücksitz und schlenderte herüber. Lazlo gesellte sich zu Oishii und warf mir einen Blick über die Schulter zu. Er machte eine Kopfbewegung Richtung Lagermitte.
»Also dann. Bringen wir es hinter uns.«
Wie nicht anders zu erwarten, war Kurumaya nicht besonders erbaut, jemanden aus Sylvies Team zu sehen. Er ließ uns beide in einem schlecht beheizten Außenzimmer der Kommandokammer warten, während er Oishii abwickelte und seinem Team Quartierscheine zuteilte. Billige Plastikstühle standen entlang der Trennwände, und in einer Ecke verkündete ein Monitor in Hintergrundlautstärke planetare Nachrichtenmeldungen. Auf einem niedrigen Tisch befand sich ein frei zugängliches Datengitter für Detailjunkies und ein Aschenbecher für Idioten. Unser Atem kondensierte in der Luft zu dünnen Wölkchen.
»Also, worüber wolltest du mit mir reden?«, fragte ich Lazlo und hauchte mir in die Handflächen.
»Wie bitte?«
»Komm schon. Du hast moralische Unterstützung genauso nötig wie Jad und Ki einen Schwanz. Was ist los?«
Ein Grinsen tauchte auf seinem Gesicht auf. »Tja, über die beiden mache ich mir auch dann und wann Gedanken. So was kann einen Mann nachts wach halten.«
»Las!«
»Okay, okay.« Er stützte den unverletzten Ellbogen auf die Armlehne und legte die Füße auf den Tisch. »Du warst bei ihr, als sie aufgewacht ist.«
»Stimmt.«
»Was hat sie zu dir gesagt? Wirklich, meine ich.«
Ich drehte mich herum, damit ich ihn ansehen konnte. »Genau das, was ich dir gestern Abend erzählt habe. Nichts Zitierfähiges. Sie hat um Hilfe gebeten. Nach Leuten gerufen, die nicht da waren. Gebrabbelt. Die meiste Zeit war sie im Delirium.«
»Klar.« Er betrachtete aufmerksam seine Handfläche, als würde es sich um eine Landkarte handeln. »Weißt du, Micky, ich bin ein Blinzelfisch. Ein Blinzelfisch-Anführer. Ich überlebe, indem ich periphere Dinge bemerke. Und ganz peripher fällt mir auf, dass du Sylvie nicht mehr so ansiehst wie zuvor.«
»Tatsächlich?« Ich achtete darauf, mit ruhiger Stimme zu sprechen.
»Ja, tatsächlich. Bis zur vergangenen Nacht hast du sie angeschaut, als wärst du hungrig und würdest dir vorstellen, wie gut sie schmeckt. Und jetzt.« Er hob den Kopf, um mir direkt in die Augen zu sehen. »Hast du den Appetit verloren.«
»Es geht ihr nicht gut, Las. Krankheit zieht mich nicht gerade an.«
Er schüttelte den Kopf. »Das erklärt es nicht. Sie war seit der Sache beim Horchposten krank, und trotzdem hattest du diesen hungrigen Blick. Vielleicht nicht so stark, aber er war da. Jetzt schaust du sie an, als würdest du darauf warten, dass etwas passiert. Als ob sie eine Art Bombe wäre.«
»Ich mache mir Sorgen um sie. Wie die anderen auch.«
Hinter meinen Worten verlief ein Gedanke wie: Du überlebst also, indem du so was bemerkst, Las? Nur damit du es weißt: So darüber zu reden, könnte dich durchaus umbringen. Unter anderen Umständen hättest du mich bereits so weit.
Einen Moment lang schwiegen wir, während wir nebeneinander dasaßen. Dann nickte er.
»Du erzählst es mir nicht, was?«
»Es gibt nichts zu erzählen, Las.«
Wieder Schweigen. Die neuesten Schlagzeilen liefen über den Bildschirm: Unfalltod irgendeines unwichtigen
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