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Heimat Mars: Roman (German Edition)

Heimat Mars: Roman (German Edition)

Titel: Heimat Mars: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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der Anzug sorgte für ausreichenden Schutz. Und das mit diesem Ausflug verbundene Risiko war mir verdammt egal.
    Wir hatten ernsthaft in Betracht gezogen, unseren ganzen Planeten an einen anderen Ort zu versetzen und damit das Leben all seiner Bewohner zu verändern. Und das alles nur, um einem Entscheidungskampf mit der Erde aus dem Weg zu gehen. Das kam mir jetzt unglaublich feige vor. Ich versuchte, mir die Reise in dieses neue Sternensystem vorzustellen, über Tausende von Lichtjahren hinweg, die ja eigentlich gar nicht existierten. Trotz meiner ach so schlauen Physik-Erweiterung hatte ich in meinem tiefsten Innern das sichere Gefühl, es sei alles nur ein Traum gewesen – und dazu noch ein böser.
    Ich blinzelte zum westlichen Horizont. Phobos würde bald aufgehen, kurz danach auch Deimos. Ich hockte mich auf den harten Boden, senkte den Kopf und starrte auf den Sand zwischen meinen Beinen.
    Casseia, Cassie, das weibliche Wesen, die Tochter, die Ehefrau existierten nicht mehr. Man hatte mir zu oft die Wurzeln gekappt. Ich konnte meine Hand nicht einfach in diesen Boden senken und ein neues Bewusstsein, irgendeinen neuen Lebensmittelpunkt säen, hegen und pflegen. Der Mars selbst gehörte uns nicht, gehörte mir nicht. Wir waren von sehr weit her auf den Mars gekommen. Wir waren Eindringlinge, die sich in seine Oberfläche hineingegraben hatten, wie Milben in die Haut. Der Mars gehörte einer totgeborenen Biosphäre.
    Ich konnte in meinem Innern nichts finden – keine Gemütsregung, keine Begeisterung für irgend etwas. Nur Pflichtgefühl.
    Meine Arme zitterten. Ich wollte sie zwingen, damit aufzuhören, aber sie taten es nicht. Mir war nicht kalt. Als nächstes begannen meine Beine zu zittern. Meine Zehen krümmten sich in den Stiefeln. Die in meinen Schutzanzug integrierte Stimme erkundigte sich, ob mit mir alles in Ordnung sei.
    »Nein«, murmelte ich.
    »Dieser Anzug ist nicht für den ärztlichen Notfall ausgerüstet, aber er wird ein S.O.S.-Signal aussenden, wenn du laut ja sagst oder deine rechte Hand zu einer lockeren Faust ballst.«
    »Nein«, sagte ich.
    »Diese Frage wird in zwei Minuten wiederholt, falls deine Symptome bis dahin nicht abgeklungen sind.«
    Ich blickte auf. Auf dem Sand und den Steinen standen Menschen ohne Schutzanzüge. Sie musterten mich neugierig.
    Mein Mutter kam als erste näher und kniete sich vor mich hin. Hinter ihr kamen Orianna von der Erde und mein Bruder Stan. Stan trug seinen kleinen Sohn. Oriannas Gesicht war ausdruckslos, aber ich spürte einen gewissen Groll. Falls Phobos irgendwann auf die Erde gefallen wäre, hätte sie ihr Leben lassen müssen. Ganz plötzlich und auf eigenartige Weise wurde mir das Ausmaß meiner Schuld klar.
    Etwas stimmt nicht mit mir, dachte ich. Ich habe gerade einen Nervenzusammenbruch.
    Meine Mutter berührte mich am Arm, aber ich spürte nichts. Stan trat vor. Sein kleiner Sohn purzelte auf den Boden, als Stan ihn losließ. Der Junge wackelte hin und her, er lernte gerade Laufen. Kleinkinder lernten auf dem Mars früher als anderswo Laufen.
    Ich hörte Stans Stimme, aber verstand kein Wort von dem, was er sagte. Sein Tonfall wirkte beruhigend.
    Nachdem ich den lebenden und toten Phantomen einige Minuten zugesehen hatte, rappelte ich mich benommen hoch, klopfte den Sand von Hintern und Beinen des Schutzanzugs und drehte mich langsam um. Ich betrachtete die Siedlung Kaibab.
    »Es ist noch nicht vorbei«, sagte ich. »Ich kann mir diesen Luxus nicht erlauben. Ich muss weitermachen.«
    Stan nickte. Das Gesicht meiner Mutter nahm einen Ausdruck traurigen Verständnisses an. Sie alle führten sich wie Pantomimen auf: ein klein wenig übertrieben. »Mutter, ich bin sehr froh, dich wiederzusehen. Und du siehst so gut aus«, sagte ich zu ihr. »Ich wünschte, du könntest mit mir sprechen.«
    Sie zuckte die Achseln und lächelte stumm. Stan murmelte irgend etwas, aber ich hörte offenbar immer noch alles wie durch Watte.
    »Wenn dies alles vorbei ist«, versprach ich, »nehme ich ein paar Wochen frei und besuche die Toten. Ich freu mich schon wie verrückt darauf, einfach mit euch zusammenzusein. Einverstanden?«
    Mutter legte den Kopf schräg und schenkte mir ihren Rätselblick.
    »Wo ist Ilya?«, fragte ich.
    »Hier«, antwortete er hinter mir. Ich drehte mich lächelnd, voller Freude um.
    Ich lag auf der Erde. Einen Augenblick glaubte ich, irgend jemand habe mich zu Boden geschlagen. Aber ich hatte mich wohl mit voller Absicht hingelegt, ohne

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