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Heimat Mensch - Was uns alle verbindet

Titel: Heimat Mensch - Was uns alle verbindet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Antweiler
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ermöglicht«. Mecca Laallaa, 22, aus dem Libanon stammend, ist dank des Burkini nun Rettungsschwimmerin bei den Life Savers am Surfclub Cronulla in Sydney. Eine moderne islamische Frau in einer Männerdomäne, in der es bisher um wenig mehr ging als Sonne, Strand, Sex … und Four-X-Beer .

Andere Länder – andere Zeiten? Sonne und Mond, Kreis und Pfeil
    Es ist kurz nach sechs Uhr am frühen Abend in Ujung Pandang. Hier in Indonesien sind wir nahe am Äquator, also wird die Sonne bald und schnell untergehen. Sie wird ins Meer fallen, so wie sie morgens steil, geradezu explosionsartig aufgeht. Obwohl sie bereits tief steht, brennt sie immer noch intensiv auf der Haut. Meine Frau und ich warten auf den Beginn eines Badmintonspiels. Eigentlich wollte Maria erst bei dem Spiel ins Schwitzen kommen, aber nun rinnt uns der Schweiß schon vorher in Strömen.
    Wir sind im Jahr 1991. In unserem Viertel läuft ein Badmintonturnier unter den Frauen, und für heute sind die Halbfinals und die Ermittlung der Gewinnerin angesetzt. Das Gebiet ist eine chaotische Ansammlung von Gebäuden und verwinkelten Wegen am Rand der Millionenstadt. Ein Hauptweg verbindet das Viertel mit einer lebendigen Straße, die von einer schier endlosen Reihe von Läden gesäumt wird. Hier in Rappocini wohnen Leute aus der Mittelschicht wie auch ganz Arme. Klapprige Hütten stehen neben veritablen Steinhäusern. Das Turnier läuft schon seit mehreren Wochen. Gespielt wird nach der Arbeit auf einem Platz einfachster Art, einer Baulücke zwischen zwei Häusern am Rand eines schmalen Wegs. Auf den Ascheplatz hat man mit weißer Farbe Linien gezeichnet und darüber ein Netz gespannt. Man trifft sich meist abends gegen sieben, um sechs Uhr ist Gebetszeit.
    Nach der Siesta spielen schon am Nachmittag Kinder auf unbebauten Flächen im Viertel Fußball und Badminton. Da habe ich auch des Öfteren mitgemacht, nicht selten bis zur totalen Erschöpfung. Ich spiele gern Fußball, und außerdem bin ich Deutscher. Jeder kennt hier »Klänsmaaan« und viele auch noch »Bäkenbooor«. Früher wurden mitten in der Nacht Bundesligaspiele live nach Indonesien übertragen. Schalke gegen Mönchengladbach in voller Länge … Heute kommen die Spiele eher aus der Premier League . Ich muss also die deutsche Fußballehre hochhalten. Kurz vor sechs Uhr hören die Kinder und Jugendlichen ziemlich schnell auf, ohne dass irgendjemand deutlich ein Zeichen gibt. Aber alle wissen: Jeder muss sich waschen, und dann geht’s ab zum Gebet. Es gibt sechs Gebete am Tag, und Erwachsene begrüßen Kinder zu den Gebetszeiten oft mit einem: »Sudah mandi?« Das heißt so viel wie: »Warst du schon im Bad?«
    Die Spiele beim Turnier wirken auf uns oft spontan, laut und chaotisch. Aber alles wird vorher langwierig besprochen und geplant. Es gibt eine Unzahl von Funktionen: Organisatoren, Spielleiter, Unterspielleiterinnen, Schiedsrichter, Spielfeldverwalterinnen, Protokollanten und, fast hätte ich es vergessen, die Spielerinnen selbst. Einige von ihnen haben keine eigene Sportkleidung oder müssen sich einen Schläger leihen. Alles muss organisiert werden, ebenso wie der Kauf der Preise für die Gewinnerin, die Zweite und Dritte. Unter den Organisatorinnen wird auch lang und breit darüber gesprochen, nach welchem Spielmodus gespielt wird. Notizformulare werden vorbereitet. Indonesier lästern ständig über die Bürokratie in ihrem Land, die sie, nach dem holländischen Wort, birokrasi nennen. Bürokratie ist eine Alltagserfahrung: endlose Mengen von Formularen, endloses Warten bei Behörden, die instansi heißen. Besondere Absurditäten der Verwaltung schaffen es immer wieder bis in die Schlagzeilen. Die Indonesier klagen über Bürokratie, aber sie lieben sie auch.
    Entschleunigung – hinein in die »Gummizeit«
    Die letzte Spieletappe sollte um 18 Uhr beginnen. In Indonesien sagt man »Sore, jam enam« , »Nachmittags, sechs Uhr«. Maria war bei den Vorbesprechungen dabei. Als es hieß: »Wir treffen uns um sechs«, wurde sie stutzig: »Aber da beten doch alle. Das ist doch eure Gebetszeit! Wie soll das gehen?« »Macht nichts, wir treffen uns trotzdem um sechs«, kam als Antwort. Maria wollte nachbohren, aber da hörte schon keiner mehr richtig hin. In Indonesien wird längst nicht alles und immer präzise besprochen. Insistieren ist hier überhaupt nicht in. Das gilt ganz besonders für Zeiten. Dafür wird ellenlang und immer wieder über verschiedene Möglichkeiten der Spielorganisation

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