Heimaturlaub
nicht mehr wegzubringen.
In einem Felsloch unweit von Petrowna lag um die gleiche Zeit, als General Beyering zu seiner Dolmetscherin schlich, ein Oberleutnant mit einem Leutnant und drei Mann und beobachtete die Bewegungen in einer Schlucht vor sich. Ihre Gesichter waren schmutzig, verschmiert, von den Strapazen gezeichnet.
»Wie lange liegen wir hier schon, Willi?« fragte der Oberleutnant und zog an einer Pfeife, die er mit der Hand überdeckte, um keine Funken springen zu lassen.
»Drei Tage, Heinz«, meinte Kriegsberichter Wilhelm von Stohr. »Und wenn es so weitergeht, liegen wir hier noch drei Wochen.«
Heinz Wüllner nickte. »Es ist eigentlich eine sonderbare Fügung des Schicksals. Wir kehren beide aus Rußland zurück, jeder bekommt Urlaub, jeder denkt: Wo mag der Bengel wohl stecken – und dann komme ich hier auf den Balkan, wandere durch die Felsen, und wen treffe ich in dem Drecksnest Petrowna? – Den Willi. Den galanten Willi … wie die kleinen Französinnen sagten.«
Wilhelm von Stohr lächelte.
»Frankreich. Wenn ich daran denke! Das war noch eine Zeit für uns. Damals glaubte ich fest: Jetzt hat Deutschland die Welt besiegt. Pustekuchen! Die Rückzüge begannen … Rußland, Afrika, Italien, Balkan, Griechenland … und nun hängen wir hier, kämpfen gegen diesen Partisanen Tito, und keiner weiß, warum. Das Land gehört uns nicht, es gehört nicht zu unserem Interessengebiet – wenigstens nicht zu meinem – und Tito verteidigt sein Vaterland, wie wir es auch tun würden. Aber seine Soldaten werden als Räuberbanden behandelt, die Gefangenen erschossen, die Verwundeten zu Tode operiert … Ich wundere mich nur, daß ich noch Leutnant bin … mir müßten die Schulterstücke wie Feuer brennen …«
Heinz Wüllner, der neben seinem Mikrofon lag und die Gegend vor sich betrachtete, schüttelte den Kopf.
»Es hat keinen Zweck, Willi. Es ist zu spät, um irgend etwas zu erhoffen oder gar zu ändern. Wir hätten viel früher aufwachen müssen. Jetzt können wir nur noch gehorchen und bluten … alles andere ist verboten.«
»Aber wir sind doch Menschen!«
»Gewesen. Du bist jetzt ein nationalsozialistischer Deutscher, eine Maschine ohne Gedanken und Seele. Du bist zu einem Roboterwesen geworden, weil du damals vor acht Jahren mit ›Ja‹ gewählt hast, als der Führer uns fragte, ob wir mit seiner Politik zufrieden seien.«
»Ich habe nie gewählt! Ich habe bei Ja und Nein je ein Kreuz gemacht.«
»Das mag sein. Aber 97 Prozent wählten mit Ja. Und weißt du, warum sie alle so begeistert waren? Weil die Wahlurnen gar nicht zur Zählung der Stimmen geöffnet wurden, sondern die Gaue einfach meldeten: Mein Führer, 97 Prozent wählten mit Ja. Die Wahlzettel aber wurden in der gleichen Nacht verbrannt.«
»Das ist nicht wahr, Heinz! Das ist eine grobe Hetze!«
»Ich kenne selbst Männer, die im Vertrauensrat der Wähler saßen und ihr Schweigen verkauften.«
Kriegsberichter Wilhelm von Stohr war es, als friere er.
»Du bist also davon überzeugt, daß wir von Anfang an betrogen und hintergangen wurden?«
»Man nannte das ›die Kunst, ein Volk zu führen‹. Und wer einen Scharlatan wie Dr. Goebbels zum Propagandachef ernennt, der muß selbst ein Alchimist sein, dem alle Mittel der politischen Giftküche recht sind …«
Plötzlich bemerkten sie vor sich in den Felsen eine Bewegung. Heinz nahm sein Mikrofon auf, Wilhelm von Stohr zückte seine Filmkamera. Eine Streife der Tito-Soldaten näherte sich kriechend dem Felsvorsprung, der Heinz Wüllner deckte. Behutsam brachten die drei zur Bedeckung mitgenommenen deutschen Landser ihr leichtes MG in Stellung und zogen einen Fünfzigergurt ein. Ruhig wie auf dem Schießplatz visierte der Schütze 1 den Spähtrupp an.
»Zur Aufnahme eignet sich das Trüpplein nicht, aber du kannst schnell ein paar Bilder drehen«, flüsterte Heinz seinem Freund zu, während der MG-Schütze sich leise an seine Kameraden wandte:
»Was meint ihr … eine Salve, zehn Schuß, und die ganze Bande liegt flach.« Er lächelte.
Schütze 2 machte ein bedenkliches Gesicht.
»Auf die Entfernung. Niemals!«
»Mit zehn Schuß? Quatsch!« bekräftigte auch Schütze 3.
»Ruhe«, zischte Heinz. Das Gespräch erlosch.
Langsam kroch der Trupp näher, geführt von einem Leutnant und einem Sergeanten, wie Heinz durchs Glas erkennen konnte. Willi, der sein Fernobjektiv auf die Kamera geschraubt hatte, legte den Apparat auf die Brüstung und wartete auf eine günstige
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