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Heimaturlaub

Heimaturlaub

Titel: Heimaturlaub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Gelegenheit. Eine unheimliche Ruhe lag über der Landschaft. Nicht einmal das Rumpeln der Artillerie war zu hören. Wie ein friedliches Felstal lag der Weg im Gebirge. Und doch lauerte der Tod.
    Der Weg machte eine kleine Biegung, und um diesen Knick herum schlich jetzt der jugoslawische Leutnant, gefolgt von seinen acht Mann. Fast zärtlich drehte Willi den Knopf an der Seite seiner Kamera. Ein leises, helles Surren klang in die Felsen. Es konnte eine Mücke sein, die vor Freude summte, oder eine Biene auf dem Blütenflug – doch es war das Auge des Feindes, das jede Bewegung festhielt, um sie in der nächsten Woche in Tausenden von Kinos vor Millionen Deutschen abrollen zu lassen.
    Dem Schützen 1 am MG ließ das Mißtrauen seiner Kameraden in bezug auf seine Schießkünste keine Ruhe.
    »Den Leutnant da treffe ich mit Einzelfeuer mit einem Schuß genau in die Stirn!« sagte er und war reichlich nervös dabei, weil seine Kameraden ihn angrinsten.
    »Verrückt«, meinte auch der Schütze 2 und tippte sich an die Stirn. Das brachte den Schützen 1 um seine letzte Ruhe.
    »Was wetten wir?«
    »Eine Zigarette!«
    »Aber genau in den Kopf!«
    »Mit Leichtigkeit.« Er wandte sich leise an Heinz: »Ich gebe jetzt Punktfeuer.«
    Heinz, den diese Unterhaltung um ein Menschenleben anwiderte, nickte bloß.
    Schütze 1 zog den Kolben fest an die Schulter, visierte ruhig, krümmte langsam den Finger durch, nahm Druckpunkt und zog. Ein Schuß gellte durch die Felsen. Heinz war es, als sei es ein Aufschrei der Natur – und der Leutnant drüben warf die Arme in die Luft und fiel zurück. Dann hämmerte das MG in kurzen Feuerstößen zwischen die laufenden, stolpernden sieben Mann. Als sie den Ausgang der Felsschlucht erreichten, zählte Heinz durch sein Glas nur noch vier.
    Eine ohnmächtige Wut schüttelte Wüllner. Der Schütze 1 hatte die Zigarette grinsend in Empfang genommen und steckte sie sich genießerisch an. Da riß Heinz sie ihm aus dem Mund und schrie:
    »Schämen Sie sich nicht?«
    »Warum?« war die dumme Antwort.
    »Ist der Mensch nicht mehr wert als eine Zigarette?«
    »Es war doch nur ein Bandit!« Der Soldat wunderte sich sehr über seinen Oberleutnant. War der immer so sentimental? Und dabei trug er das EK I! Wer weiß, wo er das bekommen hatte. Aber er bückte sich nicht, um die Zigarette aufzuheben. Die beiden anderen Soldaten blickten betreten zu Boden.
    Wüllner wandte sich ab. Ekel stieg in ihm hoch. Da wurde ein Mensch ermordet, einer Wette wegen. Dieser Mensch war ein Mann, der vielleicht Frau und Kinder hatte und eine Mutter, die Tag und Nacht für ihn betete. Nun würde ein Brief kommen: Gefallen fürs Vaterland auf dem Feld der Ehre! Und ein jugoslawischer Vater würde nach dem ersten Schmerz stolz sein und sagen: Mein Sohn war tapfer, er starb den Heldentod wie ein rechter Mann … und in Wirklichkeit wurde er doch nur erschossen einer Zigarette wegen, die einem deutschen Soldaten fehlte … Das war der Heldentod ohne Maske, das Gesicht des Krieges … So mag es Tausenden ergangen sein, die in der Erinnerung ihrer trauernden Angehörigen als sogenannte Helden weiterleben.
    Heinz Wüllner kroch aus seinem Loch heraus und wandte sich an Willi:
    »Ich muß ihn sehen – kommst du mit?«
    »Ja. Ich habe seinen Tod auf dem Filmstreifen.«
    Sie gingen zu dem Leutnant, der mit ausgebreiteten Armen auf den Felsen lag. Es war ein junger, schwarzlockiger Mann, hübsch, braungebrannt und von sportlicher Figur, ein Sohn seiner balkanischen Berge. Mitten in der Stirn hatte er ein kleines Loch … ein Meisterschuß.
    Heinz knöpfte die Jacke des ›Feindes‹ auf, nahm die Brieftasche heraus und öffnete sie. Erschüttert ließ er sie sinken und reichte sie an Wilhelm von Stohr hinüber. Zuoberst lag eine Fotografie in Postkartengröße – eine hübsche junge Frau mit zwei kleinen Kindern, einem Mädelchen und einem Buben, der eben erst laufen lernte.
    Wüllner winkte den Soldaten heran, zeigte ihm das Bild und fragte ihn dann:
    »Sind Sie verheiratet?«
    »Nein!«
    »Haben Sie Eltern?«
    »Ich bin Vollwaise, Herr Oberleutnant.«
    »Sind Sie verlobt oder sonst gebunden?«
    »Bis jetzt noch nicht.«
    »Gut! Sie melden sich heute abend bei mir.«
    Er drehte sich auf dem Absatz herum und ging die Schlucht zurück bis zu einem Zelt, das in einer Spalte aufgeschlagen war – fast unsichtbar von draußen. Dort warf er sich auf sein Lager, eine Strohmatte, zog die Wolldecke über sich, als friere er, und schloß die

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