Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heimaturlaub

Heimaturlaub

Titel: Heimaturlaub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
hörte er ein Fenster klappen und wußte, daß Hilde über die Treppe zu ihm herabhüpfte. Einen Augenblick lang war er in Versuchung, das Leder einfach an den Zaun zu hängen und zu flüchten.
    Hilde trat aus der Tür, lief auf den fremden Oberleutnant zu, der ihr den Rücken zukehrte, ging um ihn herum, stutzte und klammerte sich dann sprachlos an das Gitter des Vorgartens.
    Wüllner, der seiner Verlegenheit mühsam Herr zu werden versuchte, streckte ihr die Hand hin.
    »Bist du es wirklich?!!« rief sie.
    Und dann stand sie mit einem Sprung neben ihm und jubelte und drehte sich vor Freude im Kreis und zog Wüllner zur Tür. Er nahm sie in die Arme und küßte ihre Augen.
    »Nun ist alles wieder gut …«
    »Du hast Urlaub?«
    »Sonderurlaub. Ich spreche heute abend im Rundfunk, diesmal persönlich und in voller Lebensgröße.«
    »Wie lange bleibst du in Berlin?«
    »In Berlin nur bis heute …«
    »Heinz!«
    »… aber bei dir noch ganze fünf Tage!«
    Er küßte sie wieder.
    In diesem Augenblick trat Frau Lancke aus der Tür und sah Hilde in Umarmung mit einem fremden Offizier. Zuerst prallte sie zurück, aber als der Mann sich herumdrehte, riß sie den Mund auf, suchte Stütze an der glatten Hauswand und starrte Wüllner wie eine Erscheinung an. Dann schloß sie langsam den Mund, holte tief Luft und sagte nur:
    »Sie?«
    »Haben Sie etwas Gutes zum Kaffee?«
    »Plätzchen, die Oma Bunitz gebacken hat«, stotterte die überrumpelte Frau Lancke.
    »Oma Bunitz? Dann sind sie bestimmt gut.«
    Heinz nahm Frau Lancke am Arm, umfaßte mit der Rechten Hilde und stieg mit den beiden die Treppe hinauf, wo man die zufällig zu Besuch gekommene Oma Bunitz aus der offenen Wohnungstür zählen hören konnte:
    »Eins … zwei … drei … vier.« Pause. Dann ging es weiter: »Sieben, acht, neun, zehn … Bube … Dame … König … As …«
    Wüllner blieb stehen.
    »Was ist denn das?«
    »Oma Bunitz legt Karten«, erklärte Hilde. »Sie sagt uns immer die Zukunft. Jede Woche einmal.«
    »Bei einer Tasse Bohnenkaffee und Plätzchen. Wie in Romanen unserer Großmütter. Hat sie wenigstens meine Ankunft vorausgesehen?«
    »Ja«, meinte Hilde, bevor Frau Lancke antworten konnte. »Vorige Woche sagte sie uns: Großer Schreck um die Nachmittagsstunde …«
    Eng umschlungen traten sie ins Zimmer und begrüßten Oma Bunitz.
    Dieser kurze Nachmittag wurde für jeden der Anwesenden ein Fest. Es war, als stünde die Zeit still, als sei alles weit entrückt, was man in diesem halben Jahr der Trennung erlebt und erlitten. So dachte niemand daran, auf die Uhr zu schauen, und es fiel auch nicht auf, daß draußen die Sonne langsam an den Horizont rückte und die Schatten länger wurden: der Abend kam …
    Im Berliner Funkhaus erwartete man abends Viertel vor sieben Uhr den Kriegsberichter Heinz Wüllner. Die Aufnahmen des Zeitspiegels liefen schon, gleich begannen die Frontberichte.
    Sendeleiter Wilhelm raufte sich die Haare.
    »Typisch! Typisch! Wenn der Wüllner nicht in fünf Minuten erscheint, bekomme ich einen Gehirnschlag!«
    Aber auch die fünf Minuten gingen vorüber. Der Senderaum war in einen Bienenschwarm verwandelt. Direktor Dr. Curtius schwitzte, Sendeleiter Wilhelm rang nach Luft, der Abendsprecher wurde heiser.
    »Man müßte bei ihm anrufen, Wilhelm«, stöhnte Dr. Curtius. »Vielleicht ist er zu Hause und hat verschlafen!«
    »Als ob wir das nicht schon längst getan hätten!« bellte Wilhelm. »Aber es geht niemand an den Apparat. Die verdammten Weiber!«
    »Wieso Weiber?«
    »Wenn bei Wüllner etwas nicht klappt, sind nur die Weiber schuld! Ich kenne das! Typische Prominentenkrankheit!«
    »Acht Minuten vor sieben«, sagte tonlos der Abendsprecher. »Was soll ich sagen? Wegen technischer Schwierigkeiten …«
    »Hören Sie auf!« brüllte Dr. Curtius. »Sie machen mich wahnsinnig! Wenn Goebbels am Apparat hängt, um Wüllner zu hören, und wir sagen: wegen technischer Schwierigkeiten … Kinder, Kinder – das überlebe ich nicht!«
    Sendeleiter Wilhelm war nahe daran, Amok zu laufen. Er fluchte auf die Weiber in allen Tonarten, ersann die schrecklichsten Torturen für alle Frauen, überbot sich in Gesetzen, die man erlassen müßte, und tobte, brüllte, schrie, bellte.
    Der Abendsprecher sah auf die Uhr. »Zwei Minuten vor sieben!«
    »Das Ende«, stöhnte Wilhelm und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Es ist vorbei! Wüllner kommt nicht! Wir sind geplatzt, mit einem lauten Knall zerfetzt, aus, vorbei!

Weitere Kostenlose Bücher