Heimaturlaub
einem tiefen Trichter und hatte Erde über meinen Körper geworfen, so daß ich selbst aus nächster Nähe nicht zu erkennen war. Doch war mir merkwürdig zumute, als plötzlich das mahlende Geräusch der Raupenketten ertönte und als sie hinter der Mulde auftauchten, in breiter Angriffsformation. 24 Shermanpanzer rollten heran, aus allen Rohren feuernd …
Nun ist alles vorüber, und ich liege wieder in meinem Unterstand. Die Nerven vibrieren, ich merke es besonders in meinem zerschossenen Arm und in der brennenden Schulterwunde … alles zuckt und sticht … Aber was hilft es, darüber zu sprechen? Ich werde jetzt mein Mikrofon nehmen und mich in eine Ecke des Grabens legen mit einer Zeltbahn darüber. Und wenn der nächste Sturm kommt, werde ich wieder zur Stelle sein, so wie meine Kameraden.
In der einen Ecke des Bunkers liegt Leutnant Wirtz. Er schläft wie ein Murmeltier … und er schnarcht! Wie kann ein so junger Mensch von zweiundzwanzig Jahren schnarchen?
Mittwoch, den 31. Januar
Seit Stunden ununterbrochenes Trommelfeuer! Man kann wahnsinnig werden. Ich sitze im Unterstand und warte auf den Ruf ›Panzer!‹ Es ist kaum zum Aushalten! Ein Bombenangriff in Köln war schlimm, aber dies hier ist die Hölle. Doch man darf diese Stimmung nicht zeigen, man muß so tun, als sei man gleichgültig – die Leute blicken auf einen. So wie die Offiziere sind, so ist auch die Mannschaft! Ich sitze hier im Bunker und pfeife vor mich hin. Ich weiß nicht recht, was ich pfeife – es hört sich an wie eine Variation über Kornblumenblau, es könnte auch Butterfly sein … die Hauptsache ist, man pfeift. Pfeifen macht sich immer gut … pfeifen heißt: Na, wenn schon, mir kann keener!
Dabei ist heute Großkampftag! Wirtz nennt ihn so – als wenn hier nicht jeder Tag einen Großkampf sieht! Aber heute ist es besonders schlimm, der Amerikaner will den Durchbruch erzwingen und wirft immer neue Truppen nach vorn.
Mir zu Füßen winselt der Kompaniehund. Vielleicht das einzige Wesen, das ehrlich ist und zeigt, daß es Angst hat. Der Leutnant ist draußen bei seinen Männern. Stohr sitzt in einer Ecke und schmiert sich mit seiner einen Hand ein dickes Butterbrot mit Thunfisch. Er hat Hunger! Was muß der Bursche für Nerven haben, jetzt ans Essen zu denken! Oder tut er es auch nur, um den Männern ein Beispiel zu geben?
Die Erde zittert! Der ganze Unterstand schwankt! Wenn jetzt ein Volltreffer kommt, ist alles vorbei! Wie ich an diese Möglichkeit denke, staune ich über mich selbst. Jetzt bin ich auf einmal so ruhig, so gefaßt, so gleichgültig. So war ich schon in Rußland. Immer, wenn es aufs Ganze geht, werde ich ruhig, ganz ruhig.
Ein unerhörtes Krachen … dann ein Bersten … ich kann nicht weiterschreiben, die Erde schwankt zu sehr …
Donnerstag, den 1. Februar 1945
Heute hatte ich eine lange Aussprache mit Leutnant Wirtz. Vor einem Jahr hat er in Rußland ein Erlebnis gehabt, das sein Weltbild völlig durcheinanderbrachte. Nicht jeder ist mit zweiundzwanzig Jahren so ernst wie dieser Leutnant, und schon immer wunderte ich mich, daß er allen Dingen scheinbar so gleichgültig gegenüberstand. Er wurde damals zu einem Sonderstab des Einsatzes L abkommandiert. Er ahnte nicht, was ihm bevorstand, und war stolz, zu einer Formation zu gehören, die, wie man ihm sagte, zu den Elitetruppen des Führers zählte. Da kam ein Eisenbahnzug in Polen an, ein Transport voller Menschen, zusammengepfercht in Viehwagen, Lebende zwischen verhungerten Toten, stinkend, im Kot liegend, die Türen von außen plombiert, Frauen und Männer, Kinder und Greise.
Wirtz war erschüttert. Aber was sollte er tun? Diese Menschen wurden ausgeladen, die Toten in eine Grube geworfen, die übrigen abgesondert, mit einer Kohlrübensuppe verpflegt, die hübschen Judenmädchen wurden in die Häuser geschleift, die alten Frauen in einen Stall gesperrt. Die Männer – gleich welchen Alters – wurden zu Trupps zusammengetrieben und in provisorischen Waldlagern unter freiem Himmel ohne jeden Schutz bei 25 Grad Kälte untergebracht.
Am Morgen war mehr als die Hälfte der Männer erfroren – sie wanderten in die Grube mit Chlorkalk. Die Frauen wurden aus den Ställen geholt, die Judenmädchen aus den Häusern geschleift, mißhandelt, geschändet … und weiter ging es, nach Polen hinein. Bis man nach Kiew kam. Dort schien sich die Lage zu ändern. Die Juden kamen in ein großes Krankenhaus oder in weiträumige Lazarettbaracken, ein Oberstabsarzt
Weitere Kostenlose Bücher