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Heimkehr in Die Rothschildallee

Heimkehr in Die Rothschildallee

Titel: Heimkehr in Die Rothschildallee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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sollen die mich denn finden, wenn ich nicht mehr Feuereisen heiße?«
    Sie saßen abends am Küchentisch und aßen Brot mit der Marmelade aus den Ebereschen und Hagebutten, die Anna im vorigen Sommer im Riederwald gesammelt hatte. Hans träumte von einem Glas Bier und von einem Flanellhemd mit Knöpfen aus Perlmutt, Anna von einem Metzgerladen, in dem man Fleisch kiloweise und die Wurst per Meter kaufte. Sie sah, dass Fannys Augen immer noch gerötet waren, und sie überlegte, ob es nicht ein Segen war, wenn ein Kind, das seit Jahren nicht geweint hatte, endlich durch Tränen erlöst wurde. Als sie aufstand, um das Radio zu holen, küsste sie Fanny auf die Stirn. Das Mädchen lächelte, als wäre es glücklich – so wie es als Kind gelächelt hatte, wenn ihre schöne Mutter es gelobt hatte.
    Der Sicherheit wegen verhüllte Anna das Radiogerät mit der blauen Decke vom Kinderwagen und stellte es so leise, dass das gut eingespielte Trio die Körper vorbeugen musste, um die Stimme der Wahrheit zu hören. BBC meldete, am Morgen wäre das deutsche Schlachtschiff »Tirpitz« getroffen worden.
    »Kann Deutschland nicht jucken«, sagte Hans, »wir haben ja die Wunderwaffe.«
    Anna sagte: »Du hast wie immer recht.« Trotzdem schüttelte sie den Kopf und nannte ihren Mann einen Trottel. »Einen Erztrottel«, stellte sie klar. »Hast du wirklich gedacht, eine Tochter von Johann Isidor Sternberg wird es zulassen, dass wir seiner Enkeltochter den Namen nehmen?«

3
ZURÜCK, DOCH NICHT ZU HAUSE
    Juni 1945
    »Don’t fence me in«, sang der Mann am Steuer des amerikanischen Armeebusses. Seine Stimme war mächtig und er, wie immer, wenn er singen durfte, noch besser gelaunt als sonst. Das populäre Lied war für ihn ein Stück Heimat. Genau wie die Erinnerung an Polly Patch, die Nachbarstochter mit den blonden Ringellocken und der Himmelfahrtsnase. Polly hatte versprochen, ihrem ehemaligen Mitschüler jede Woche tausend Küsse zu schicken, doch in zwei Jahren hatte sie es noch nicht mal zu einem Geburtstagsgruß oder zu einer Weihnachtskarte gebracht.
    »Don’t fence me in« in der Interpretation von Bing Crosby war gerade auf den Plattenmarkt gekommen, als die Army Sergeant Patrick Johnson aus Arkansas nach Europa geschickt hatte. Der gutmütige Patrick, von seinen Kameraden »Pat« genannt, war nun, weil der Krieg in Europa zu Ende war, ein Besatzungssoldat, dem es verboten war, mit den ehemaligen Feinden Kontakt zu halten. Auch mit den hübschen jungen Frauen, die so bereitwillig amerikanische Soldaten anlächelten. Das Fraternisierungsverbot bekümmerte Sergeant Johnson ebenso wie Pollys Untreue. Er verabschiedete sich gleichzeitig von der Sehnsucht nach ihren wohlgeformten Brüsten und einem plötzlichen Verlangen nach dem Kürbisauflauf seiner Mutter.
    Patrick Johnson war stolz, dass er in den letzten achtundvierzig Stunden gute Arbeit geleistet hatte. Auch nicht der kleinste Zwischenfall! Er grinste sein Gesicht im Rückspiegel an, nahm die Hände vom Steuer und klatschte. »Home, sweet home«, rief er in den Bus. Der fröhliche Fahrer wunderte sich nicht, dass niemand reagierte. Das war auf der ganzen Fahrt so gewesen. Pat machte seine allseits beliebten Scherze, und keiner lachte.
    »Kein Schwein«, murmelte er und knirschte mit den Zähnen.
    Obgleich sein Vorgesetzter sich große Mühe gegeben hatte, die ungewöhnliche Situation zu erklären, hatte der Sergeant nicht verstanden, was es mit den Menschen auf sich hatte, die er aus dem Land der Opfer nach Deutschland fahren sollte, der ursprünglichen Heimat der Täter. Wozu? Warum? Wem war so was eingefallen? Weshalb sollten Leute, denen es augenscheinlich nicht gut ging und die für Pat so aussahen, wie er sich Strafgefangene in Todeszellen vorstellte, unmittelbar nach Kriegsende auf eine so beschwerliche Reise gehen? Pat fand, das sei wieder mal typisch für die Army. »Jeder denkt, und keiner denkt zu Ende«, hatte es sein Freund Mike einmal formuliert.
    »Hi«, rief Pat aufmunternd. Er leckte seine Lippen feucht und dachte abermals an Polly. Diesmal an ihre schönen, durchsichtigen Blusen.
    Betsy Sternberg, die dabei war, sich wieder an ihren Familiennamen zu gewöhnen und dass sich Fremde nicht duzten, wie es in Theresienstadt üblich gewesen war, hatte den Eindruck, der Sergeant würde sie anschauen. Einen kurzen, irritierenden Moment hatte sie das Bedürfnis, dem freundlichen jungen Amerikaner zu erzählen, dass sie den Schlager »Don’t fence me in« in ihrem

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