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Heimkehr in Die Rothschildallee

Heimkehr in Die Rothschildallee

Titel: Heimkehr in Die Rothschildallee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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diese Wohnung rechtmäßig vom Wohnungsamt eingewiesen worden. Das Haus gehört Herrn Baldur Ehrlich. Sein Vater Pius Ehrlich war einmal der Kompagnon vom verehrten Herrn Sternberg. Vielleicht haben Sie den Namen schon mal gehört.«
    »Hab ich, nach 1933 immer öfter. Sollten Sie Herrn Baldur sprechen, wäre es ein Akt der Nächstenliebe, ihn darauf vorzubereiten, dass er von mir hören wird. Sehr bald.«

10
ABSCHIED UND NEUANFANG
    Januar bis April 1947
    Im Januar 1947 bescheinigte ein Hamburger Entnazifizierungsgericht dem deutschen Boxidol Max Schmeling sein einwandfreies politisches Verhalten in der Nazizeit. Der Weltmeister im Schwergewicht der Jahre 1930 und 1931 erhielt von der amerikanischen Militärregierung eine Boxerlaubnis für die amerikanische Zone. Ebenfalls zu Jahresbeginn wurde in den drei Westzonen der deutschen Bevölkerung erstmals der von den Alliierten in den ehemaligen Konzentrationslagern Buchenwald, Dachau und Bergen-Belsen gedrehte Film »Todesmühlen« vorgeführt. Im Ruhrgebiet sollte ein neues Punktesystem die Bergarbeiter mit höheren Lebensmittelrationen versorgen. Zu den monatlichen Sonderzuteilungen zählten siebenhundertfünfzig Gramm Speck, zwei Flaschen Schnaps und hundert Zigaretten. Mit diesen Maßnahmen hoffte man, die dringend benötigten Arbeitskräfte zur Steigerung der für Deutschland lebenswichtigen Kohleförderung anzuwerben. »Bergarbeiter müsste man sein!« wurde der Seufzer des Hungerwinters. Dennoch streikten die Arbeiter in fast allen größeren Städten Nordrhein-Westfalens. Massenkundgebungen waren an der Tagesordnung. In der britischen Besatzungszone lag selbst für Arbeiter die Ration bei knapp über tausend Kalorien pro Tag. Das Plakat mit der Forderung »Wir wollen keine Kalorien, wir wollen Brot« gab die Stimmung im ganzen Land wieder. Allerorten wurden die Umerziehungsbemühungen der Sieger verspottet; der deutsche Michel machte die Demokratie als Wurzel allen Übels aus. Bis nach Deutschland sprach sich herum, dass Winston Churchill, seit zwei Jahren der britische Oppositionsführer, im Unterhaus gesagt hatte: »Demokratie ist die schlechteste Regierungsform.«
    Der neue Frankfurter Oberbürgermeister, der Bonner Walter Kolb, den bei seiner Berufung kaum einer kannte und der sich sehr rasch allergrößter Beliebtheit bei den Bürgern erfreute, ließ sich mit dem Spaten in der Hand auf den Ruinen eines Trümmerhauses fotografieren. Er wollte die Bevölkerung zur Hilfe bei der Enttrümmerung der Stadt anspornen – und riss sie mit seiner Begeisterung mit. Schüler und Lehrer schaufelten gemeinsam ihre Schulen frei, Beamte, Polizisten, Ärzte und Krankenschwestern griffen zur Schippe. In Overalls und Arbeiterkluft, in Militärhosen und Militärjacken, die fürs Zivilleben umgearbeitet worden waren, selbst im Reitzeug der satten Jahre, in Metzgerjacke und Bäckerhose machten sich die hungrigen Bürger daran, den Römerberg freizuschaufeln. Es fand sich ein Bund mit riesigen Schlüsseln. Sie gehörten zu den Römerportalen; man vermutete, dass der Rathauspförtner sie bei seiner Flucht vor dem Feuersturm verloren hatte. Er war in der Höllennacht vom März 1944 umgekommen, die der Altstadt den Tod brachte.
    Der Oberbürgermeister persönlich gab bekannt, dass im Frühjahr mit dem Wiederaufbau der zerstörten Paulskirche begonnen werden sollte. Diesmal fand er wenig Zustimmung. In den Schlangen vor den Lebensmittelgeschäften, Metzgereien und Bäckereien fassten sich die hungernden und frierenden Menschen an den Kopf. In der Trümmerwüste Frankfurt fehlte es an Krankenhäusern, Schulen, Altersheimen und Wärmestuben. Vor allem an Wohnungen. Kriegswaisen waren erbärmlich untergebracht, Kriegswitwen hockten mit ihren Kindern in den Kellern eingestürzter Häuser und kochten auf offenem Feuer. Heimkehrer aus der Kriegsgefangenschaft, Ausgebombte und jene Frankfurter, die im Krieg auf die Dörfer evakuiert und dort wie ungeliebte Verwandte oder aufdringliche Bettler behandelt worden waren und die endlich wieder nach Hause wollten, standen vor dem Nichts.
    »Die Aufnahme im Himmel erfolgt ohne Zuzugsgenehmigung«, schmierte ein Zyniker an die Mauer eines zerstörten Geschäfts auf der Zeil. Nur mit Zuzugsgenehmigung durfte der Mensch in Frankfurt wohnen. Selbst Kinder, die in einem hessischen Dorf zur Welt gekommen waren, weil ihre Mütter dorthin geflüchtet waren, brauchten die Genehmigung. Um das erbärmliche Stück Papier wurde noch erbitterter gekämpft als

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