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Heimlich

Heimlich

Titel: Heimlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Ellroy
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Benehmen mußten sich irgendwie geändert haben, die jugendlichen Ballspieler sahen aus, als hätte sie ein sechster Sinn alarmiert.
    »Ich muß gehen«, sagte der ruhige Junge.
    »Ich auch«, quiekte ein anderer.
    Bevor ich bis drei zählen konnte, rannten sie alle die Maple Avenue hinunter und warfen mir über die Schultern verstohlene Blicke zu. Nur Augenblicke später schienen sie alle in staubigen Vorgärten zu verschwinden. Sie ließen mich auf der Straße stehen, und ich wollte wissen, was zum Teufel passiert war.

    Medina Court erstreckte sich nur über einen Block.
    Eine angelaufene Blechplakette, die in den brüchigen Gehsteig eingelassen war, erklärte den Grund: Die Straße und die vierstöckigen Mietshäuser, die sie beherrschten, waren 1885 gebaut worden, um chinesische Eisenbahnarbeiter zu beherbergen.
    Ich parkte meinen Wagen an der Böschung von Peck Road - dem einzigen Zugang nach Medina Court -, und sah mich um. Die Gebäude waren offensichtlich einmal weiß gestrichen gewesen Jetzt waren sie so graubraun wie die Smogplage, die die Sommerluft verpestete. Ein halbes Dutzend war niedergebrannt, und die verkohlten Reste waren nie entfernt worden. Mexikanische Frauen und Kinder saßen auf den Eingangstreppen ihrer abblätternden, von der Sonne gebackenen Unterkünfte und suchten Befreiung vom kochendheißen Inneren.
    Abfall bedeckte die staubige Straße, die durch Medina Court führte, und Vorkriegsschlitten lagen tot zu beiden Seiten. Mariachi-Musik quoll aus dem Inneren einiger Häuser und wetteiferte mit hohen, spanischen Stimmen. Ein ausgemergelter Hund humpelte an mir vorbei, knurrte flüchtig und sah mich hungrig an. Die Armut und die Niederträchtigkeit von Medina Court war überwältigend.
    Ich mußte den Vater des einen Jungen finden, einen Briefträger, also sah ich in den Einfahrten der Gebäude nach, ob die Post schon zugestellt worden war. Die Briefkastenanlage war in allen Häusern identisch - ganze Reihen von metallenen Boxen, auf denen schlecht lesbare spanische Nachnamen und Wohnungsnummern standen. Ich überprüfte drei Häuser auf jeder Seite der Straße und erntete dabei eine Menge böser Blicke. Die Briefkästen waren leer. Ich hatte Glück.
    Medina Court endete als Sackgasse in einer Mischung aus Wiese und Autofriedhof, wo ein Knäuel zerlumpter, aber glücklich scheinender mexikanischer Kinder Fangen spielten. Ich ging zurück zur Peck Road und war dankbar, daß ich nicht hier wohnte.

    Ich wartete drei Stunden und beobachtete die Szene, die an mir vorüberzog: alte Penner, die im Schutt der abgebrannten Häuser stocherten und sich ein schattiges Plätzchen suchten, um aus ihren Flachmännern zu trinken; dicke mexikanische Weiber, die ihre schreienden Kinder die Straße hinunterjagten; endlose Zankereien zwischen Männern in T-Shirts voller obszöner Sprüche auf englisch und spanisch; zwei Faustkämpfe; und eine stete Parade von Kerlen, die in ihren aufgemotzten Schlitten durch die Straße gondelten.
    Als um ein Uhr die Sonne in ihrem drückenden Zenit stand und die Temperatur ungefähr 37 Grad im Schatten betrug, kam ein müde und niedergeschlagen aussehender Briefträger nach Medina Court herein. Mein Herz machte einen kleinen Freudensprung - er war das genaue Abbild des blonden Jungen. Er ging in das »Foyer« der ersten Mietskaserne auf der südlichen Straßenseite, und ich wartete auf ihn auf dem Gehsteig.
    Er wurde munter, als er mich dastehen sah, einen seriösen Weißen in Anzug und Krawatte. Er lächelte; das nervöse, bissige Lächeln eines, der sich nach Gesellschaft sehnt. Er betrachtete mich von oben bis unten. »Polizist?« fragte er.
    Ich bemühte mich, überrascht zu klingen: »Nein, warum fragen Sie?«
    Der Postbote lachte und warf seinen ledernen Postsack von einer Schulter auf die andere. »Weil jeder Weiße, der über 1,80 groß ist, einen Anzug trägt an so ’nem Tag wie heute in Medina Court, weil der einfach Polizist sein muß.«
    Ich lachte. »Falsch, aber nahe dran. Ich bin Privatdetektiv.« Ich lieferte ihm keinen Beweis dafür, weil ich einfach keinen hatte. Der Briefträger pfiff; ich bekam einen Hauch von seinem Schnapsatem. Ich streckte die Hand aus. »Herb Walker«, sagte ich.
    Der Briefträger ergriff sie. »Randy Rice.«
    »Ich brauche ein paar Informationen, Randy. Können wir ein bißchen reden? Darf ich Sie zu einem Bier einladen? Oder dürfen Sie im Dienst nicht trinken?«
    »Vorschriften sind dazu da, umgangen zu werden«, sagte Randy Rice.

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