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Heimlich

Heimlich

Titel: Heimlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Ellroy
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ungefähr dreißig.«
    Ich stand auf und gab Randy die Hand. Er zwinkerte und fing noch einen ängstlichen Monolog über das Einwandererproblem an. Ich unterbrach ihn, indem ich ihm selbst zuzwinkerte und ihm auf die Schulter klopfte. Als ich die Bar verließ, hörte ich, wie er auf andere einsame Schnapsköpfe einquasselte.

    Zwanzig Minuten später war ich wieder in Medina Court und stand schmachtend im Hausflur von Nr. 311. Ich überflog die Briefkastenanlage und fand Nr. 61, riß den Metallverschluß auf und fand den Kasten voller Briefe mit mexikanischen Briefmarken.
    Ich verließ mich auf meine dürftigen Spanischkenntnisse, riß wahllos drei der Briefe auf und las sie. Die Briefe waren fast unleserlich, aber einen gemeinsamen Tenor konnte ich erkennen, nachdem ich alle drei gelesen hatte. Vetter Joe Sanchez war dabei, die mexikanische Seitenlinie seiner Familie nach Amerika zu schaffen, vorsichtig, einen nach dem andern, gegen eine kleine Gebühr. Die Briefe flossen über vor Dankbarkeit und Hoffnung auf ein schönes Leben in der neuen Welt. Vetter Joe wurde überschwenglich gelobt, und Geldbeträge wurden versprochen, sobald die neuen Amerikaner Arbeit gefunden hätten. Ich fing an, Vetter Joe unsympathisch zu finden.
    Um halb sieben tauchte er auf, gerade als die Hammerschläge der Sonne Medina Court nicht mehr erreichten. Von den Stufen vor seinem Haus sah ich, wie ein lila Mercury Baujahr 1950 anhielt und ein dünner Mexikaner mit lila Jacke und dumpfem Grinsen ausstieg, den Wagen sorgfältig abschloß und die Treppen hochspringend auf mich zukam. Ich hatte meine Augen in sein Gesicht gebohrt und wartete darauf, Anzeichen von Furcht oder Gewalt darin erkennen zu können, sobald er mich wahrnehmen würde. Aber als er mich sah, warf Sanchez spielerisch die Hände hoch, als wolle er sich ergeben, und sagte: »Warten Sie auf mich, Officer?« Dabei zeigte er sein breites Grinsen.
    Ich grinste zurück. »Ich weiß, daß du sauber bist, Joe. Du bist immer sauber. Ich wollte nur ’n bißchen mit dir reden.«
    Sanchez grinste schon wieder. »Warum gehen wir dann nicht in meinen Stall hoch?«
    Ich nickte zustimmend und ließ ihn durch den dampfenden Flur vorgehen. Wir gingen die Treppe hoch bis ins dritte Stockwerk. Sanchez fummelte an dem Zweifach-Schloß seiner Türe herum, und als er die Tür aufmachte, knallte ich ihm meine rechte Faust in den Nacken, und so landete er der Länge nach in seiner tadellosen Plüschbude. Er schaute mich vom Boden aus an, sein ganzer Körper zitterte vor Zorn. Ich schloß die Tür hinter mir, und wir starrten uns an. Sanchez erholte sich schnell, stand auf und bürstete sein Seidenjackett ab.
    Das sardonische Grinsen kam wieder. »Das ist schon lang nicht mehr vorgekommen«, sagte er. »Hat der Sheriff Sie geschickt?«
    »Los Angeles Police Department«, sagte ich, um der guten alten Zeit willen. Ich zog die Briefe aus meiner Jackentasche, ließ mein Jackett aber zugeknöpft, so daß Sanchez nicht sehen konnte, daß ich unbewaffnet war. Ich warf sie ihm ins Gesicht. »Du hast deine Post vergessen, Joe.«
    Ich wartete auf seine Reaktion. Sanchez zuckte nur mit den Schultern und ließ sich auf ein Sofa fallen, das mit mexikanischen Souvenirdecken belegt war. Ich zog mir einen Stuhl her und setzte mich so nah zu ihm, daß ich ihm ins Gesicht atmen konnte. »Rauschgift und Sozialversicherungskarten, wirklich hübsch«, sagte ich.
    Sanchez zuckte mit den Schultern, dann sah er mich trotzig an. »Was wollen Sie denn, Mann?« Er spuckte mich an.
    »Ich will nur wissen, was eine gutaussehende weiße Frau aus der Mittelschicht wie Marcella Harris hier in Medina Court zu schaffen hatte«, sagte ich, »außer, daß sie Stoff von Ihnen gekauft hat.«
    Sanchez entspannte sich erst erleichtert, dann wurde er steif vor Angst. Es war bizarr. »Ich hab’ sie nicht umgebracht, Mann«, sagte er.
    »Bestimmt nicht. Also, das ist ganz einfach so. Du sagst mir, was du weißt, und ich laß dich in Ruhe, für immer. Du erzählst mir nichts, und die Einwanderungsbullen vom FBI sind in einer Viertelstunde hier. Comprende? «
    Sanchez nickte. »Ein Freund von mir hat sie mitgebracht. Sie wollte ein bißchen Gras kaufen. Sie kam wieder, immer wieder. Sie fand Medina Court ganz heiß. Sie war wahnsinnig, ein hitziger Rotschopf. Sie rauchte gern Gras und tanzte gern. Sie mochte mexikanische Musik.« Sanchez zuckte mit den Schultern, um anzudeuten, daß seine Geschichte zu Ende war.
    Das reichte mir nicht. Und

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