Heimlich
tat. In einem Schluck.
Ich wechselte das Thema und fragte ihn: »Michael, du warst bei deinem Vater, als deine Mutter getötet wurde, stimmt’s?«
»Stimmt. Wir spielten gerade Entenball.« »Was ist Entenball?«
»Wie Fangen. Wenn du den Ball nicht fängst, mußt du in die Knie gehen und wie eine Ente quaken.«
Ich lachte. »Klingt lustig. Wie war dein Verhältnis zu deiner Mutter, Michael? Hast du sie geliebt?«
Michael wurde rot, überall. Seine langen dünnen Arme wurden rot, sein Hals wurde rot, sein Gesicht wurde rot bis zum Ansatz seines weichen braunen Bürstenhaarschnittes. Er fing an zu zittern, dann wischte er mit dem Arm über die Tischfläche und warf sämtliche Gläser und Utensilien auf den Boden. Er zwängte sich an mir vorbei und rannte nach draußen zu seinem jungen Beagle.
Doc starrte mich an, und eine aufgeschreckte Kellnerin hob unsere Abfälle vom Boden auf.
»Passiert das oft?« fragte ich.
Doc nickte. »Mein Sohn ist ein sehr verletzlicher Junge.«
»Er gerät nach seinem Vater.« Es war ebenso eine Herausforderung wie auch ein Kompliment. Doc verstand.
»Auf gewisse Weise«, sagte er.
»Ich denke, er ist ein wunderbarer Junge«, fügte ich hinzu.
Doc lächelte. »Ich auch.«
Ich legte einen Fünf-Dollar-Schein auf den Tisch. Doc und ich standen auf und gingen nach draußen. Michael spielte Tauziehen mit seinem Hund. Der Hund hielt die lederne Leine im Maul und zerrte freudig gegen den Zug von Michaels dünnen Armen.
»Komm jetzt, Colonel«, rief Doc. »Zeit, nach Hause zu gehen.«
Michael und der Hund rannten uns voraus über die Western Avenue und blieben gut vierzig Meter vor uns, als wir in der heißen Nachmittagssonne Richtung Westen gingen. Doc und ich schwiegen. Ich dachte über den Jungen nach und hätte gerne gewußt, was Doc jetzt dachte. Als wir an dem Wohnhaus Ecke Beverly und Irving ankamen, streckte ich die Hand aus.
»Danke für Ihre Zusammenarbeit, Doc«, sagte ich.
»War mir ein Vergnügen, Fred.«
»Ich glaube, Sie haben mir sehr geholfen. Ich glaube, Sie haben endgültig bewiesen, daß der Anspruch dieser Frau ein Schwindel ist.«
»Ich wußte gar nicht, daß Marcella bei der Prudential eine Versicherung abgeschlossen hatte. Ich bin überrascht, daß sie mir davon nichts erzählt hat.«
»Die Menschen tun oft überraschende Dinge.«
»Wann, sagten Sie, hat sie die Versicherung abgeschlossen?«
»1951.«
»Wir wurden 1950 geschieden.«
Ich zuckte die Achseln. »Wie wahr«, sagte er. Er faßte in seine Hosentasche und zog eine Karte heraus, die ich ihm zuvor gegeben hatte. Er reichte sie mir. Die Schwärze war verschmiert. Doc schüttelte den Kopf. »Ein cleverer junger Versicherungsbulle wie Sie sollte sich seine Karten bei einem besseren Drucker machen lassen.«
Wir gaben uns noch einmal die Hände. Ich merkte, wie ich rot wurde. »Bis dann, Doc«, sagte ich.
»Passen Sie auf sich auf, Fred«, erwiderte Doc.
Ich ging zu meinem Wagen. Ich hatte den Schlüssel gerade ins Schloß gesteckt, da kam Michael angerannt und umarmte mich stürmisch. Bevor ich reagieren konnte, schob er mir ein zusammengerolltes Papier in die Hand und rannte wieder weg. Ich rollte das Papier auf. »Du bist mein Freund« war zu lesen, sonst nichts.
Ich fuhr nach Hause. Der Junge rührte mich, und der Mann gab mir Rätsel auf. Ich hatte die merkwürdige Empfindung, daß Doc Harris wußte, wer ich war und daß ihm mein Eindringen irgendwie gelegen kam. Ich hatte ferner das genauso merkwürdige Gefühl, daß sich zwischen Michael und mir eine Bindung aufbaute.
Als ich heimkam, rief ich Reuben Ramos an und bat ihn um ein paar Gefälligkeiten. Zögernd erfüllte er mir meinen Wunsch: Er holte Auskünfte über Doc Harris ein. In Kalifornien war nichts. Dann gab er mir die Anschriften durch, die Marcella Harris bei ihren vielen Festnahmen angegeben hatte: 1946, vor neun Jahren hatte sie in 618, North Sweetzer, Los Angeles gewohnt. 1947 und 1948 in 17901, Terra Cotta, Pasadena. 1949 in 1811, Howard Street, Glendale. Zur Zeit ihrer letzten Festnahme wegen Trunkenheit am Steuer hatte sie in 9619, Hibiscus Canyon in Sherman Oaks gewohnt.
Ich schrieb mir alles auf und starrte lange auf diese Information, bevor ich ins Bett ging. Ich schlief sehr unruhig und wachte wiederholt auf, da ich mein Schlafzimmer von den Geistern ermordeter Frauen bevölkert wähnte.
Am folgenden Tag, es war Freitag, ging ich los und suchte Spuren von Marcella DeVries Harris’ Vergangenheit. Zuerst fuhr
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