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Heimlich

Heimlich

Titel: Heimlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Ellroy
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Geld für die Fahrt hierher geliehen und das Geld für die Miete. Aber er hat Marcellas Schnaps gefunden und alles ausgetrunken! Er war drei Wochen lang besoffen.«
    »Wie lange war Morton in der Wohnung?«
    »Zwei Monate! Er war auf ’ner Sauftour und er endete im Krankenhaus. Ich -«
    »War Marcella so lange weg?«
    »Ja.«
    »Hat Sie Ihnen gesagt, wo sie hin wollte?«
    »Nein, aber als sie wieder da war, sagte sie ›Schau heimwärts, Engel‹. Das ist doch der Titel eines Buches, nicht wahr?«
    »Ja, Madam. Hatte Marcella ihren Sohn dabei?«
    »Nein... weiß nicht ... doch, ich weiß, daß sie ihn nicht dabei hatte. Sie hatte das Kerlchen bei Freunden gelassen. Ich erinnere mich, daß ich mit dem Jungen gesprochen habe, als Marcella zurückkam. Er mochte die Leute nicht, bei denen er gewesen war.«
    »Danach zog Marcella aus, nicht wahr?«
    »Ja.«
    »Wissen Sie, wohin sie ging?«
    »Nein.«
    »Erschien sie Ihnen verstört, als sie von ihrer Reise zurückkam?«
    »Kann ich nicht sagen. Diese Frau war mir ein Rätsel! Wer ... wer hat sie umgebracht, Officer?«
    »Ich weiß es nicht, aber ich werde es herausbekommen«, sagte ich zum Abschied.

    Als ich mit zitternden Händen über den Cahuenga Paß nach Hollywood fuhr, konnte ich meine Erregung nur mit Mühe unter Kontrolle halten. Ich fand eine Telefonzelle und rief Doc Harris an. Er nahm beim dritten Klingeln ab: »Sprechen Sie, es ist ihr Geld.«
    »Doc, hier spricht Fred Walker.«
    »Fred, wie geht’s? Was macht das Versicherungsgeschäft?« Die derbe Herzlichkeit seines Tonfalls sagte mir, er wußte, daß es sich nicht um Versicherungen handelte, er dieses Spielchen aber trotzdem mitmachen wollte.
    »Soso lala. Es ist ein Geschäft wie jedes andere. Hören Sie, würden Sie und Michael gerne morgen einen Ausflug machen? Irgendwohin aufs Land, in meinem Cabrio, Sie brauchen nur einzusteigen.«
    Am anderen Ende der Leitung herrschte Stille. Endlich sagte Doc: »Klar, Mann. Warum holen Sie uns nicht einfach zum zwölf Uhr ab?«
    »Bis dann«, sagte ich und hängte ein.
    Ich fuhr nach Beverly Hills.
    Lornas Büro befand sich in einem hohen Gebäude, das an das Stanley-Warner-Theater auf dem Wilshire Boulevard in der Nähe des Beverly Drive grenzte. Ich parkte weiter unten auf der Straße und ging zu Fuß dahin. Ich sah zuerst auf dem rückwärtigen Parkplatz nach; ich fürchtete, Lorna hätte schon Feierabend haben können, aber ich hatte Glück: Ihr Packard stand noch an seinem Platz. Fleißige Lorna - um halb sieben immer noch an der Arbeit.
    Der Himmel färbte sich golden, und die Leute stellten sich schon für die erste Abendaufführung des Films »Ein Mädchen vom Lande« an. Ich wartete eine Stunde am Eingang des Parkplatzes, bis der Himmel ein poliertes Kupferrot annahm und Lorna um die Ecke auf den Canon Drive kam. Sie blieb nahe beim Gebäude und stieß ihren schweren hölzernen Stock in die Ecke, die die Mauer und der Gehsteig bildeten.
    Als ich sie sah, überkam mich das altbekannte Zittern. Sie ging geistesabwesend, den Kopf nach unten gerichtet. Bevor sie aufschauen und mich erkennen konnte, prägte ich mir ihren Gesichtsausdruck ein, ihre gewundene Körperhaltung und ihr hellblaues Sommerkleid. Als sie dann aufblickte, muß sie den liebeskranken Freddy Underhill aus alten Zeiten gesehen haben, denn ihr Gesicht wurde sanft, bis sie merkte, daß dies das Jahr 1955 war und nicht 1951 und daß in der Zwischenzeit Mauern errichtet worden waren.
    »Hallo Lorna«, sagte ich.
    »Hallo Freddy«, sagte Lorna kalt. Ihre Züge versteiften sich, sie seufzte und lehnte sich gegen den Marmor des Gebäudes. »Warum, Freddy? Es ist vorbei.«
    »Nein, Lorna. Nichts ist vorbei.«
    »Ich will nicht mit dir streiten.«
    »Du siehst schön aus.«
    »Nein. Ich bin fünfunddreißig und ich habe zugenommen. Und es ist erst vier Monate her.«
    »Es ist eine Ewigkeit her.«
    »Tu mir das nicht an, gottverdammt! Du meinst das nicht, und mir ist es egal! Mir ist es egal, Freddy! Verstehst du mich?«
    Lorna gab sich einen Ruck und wäre beinahe gestürzt. Ich näherte mich ihr, um sie zu stützen, und sie hieb tapsig mit dem Stock nach mir. »Nein, gottverdammt«, zischte sie. »Dein Charme wird nicht noch einmal verfangen. Ich lasse nicht zu, daß du meine Freunde verprügelst, und ich werde dich nicht wieder nehmen.«
    Sie humpelte auf den Parkplatz. Ich blieb hinter ihr und überlegte, ob sie mir wohl glauben würde, oder mich für verrückt hielte, oder ob es ihr egal wäre.

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