Heimlich
verkündete eine Tafel: »Tunnel City, Wisconsin, 9818 Einwohner«. Nach einem Tunnel suchte ich vergebens, dann wurde mir klar, daß die Stadt ihren Namen wahrscheinlich einer Art unterirdischem Bewässerungssystem verdankte, daß die endlosen Kohlfelder der Umgebung mit Wasser versorgte.
Die Stadt selbst war aus der Sicht von vor fünfzig Jahren in jeder Weise intakt: ein Gerichtsgebäude aus rotem Backstein, Futtermittelläden aus rotem Backstein, ein Lebensmittelladen aus rotem Backstein; aus weißem Backstein war der Drugstore, der Gemüseladen und die Stadtbücherei. Den Brennpunkt der kleinen Gemeinde schienen zwei Traktorenhändler zu bilden, deren Schaufenster sich genau gegenüber auf beiden Seiten der Straße lagen. Hinter ihren kristallklaren Scheiben waren sie vollgestopft mit brandneuen Maschinen.
Ein paar sonnenverbrannte Männer in Latzhosen standen vor jedem Laden und unterhielten sich gutgelaunt. Ich parkte meinen Wagen und gesellte mich zu einer Gruppe auf dem Bürgersteig. Es war sehr heiß und sehr schwül, und ich zog umgehend mein Jackett aus. Sie erkannten mich sofort als verderbten Stadtmenschen, und ich sah, wie sie untereinander versteckte Zeichen austauschten. Ich wußte, daß ich die Zielscheibe ihrer Späße werden würde und richtete mich darauf ein.
Ich wollte gerade »Guten Morgen« sagen, als der größte der drei Männer unmittelbar vor mir traurig seinen Kopf schüttelte und sagte: »Kein besonders guter Morgen, junger Freund.«
»Ist ein bißchen schwül«, sagte ich.
»Sind Sie aus Chicago?« fragte ein kleiner Mann mit buschigen Augenbrauen. Seine kleinen, blauen Augen funkelten in dem Wissen, einen echten vor sich zu haben.
Ich wollte ihn nicht enttäuschen. »Ich bin aus Hollywood. In Hollywood kann man alles bekommen, was man möchte, außer gutem Sauerkrautsaft, deshalb bin ich nach Wisconsin gekommen, weil ich mir eine Reise nach Deutschland nicht leisten konnte. Bringen Sie mich zu Ihrem klügsten Kohlkopf.«
Damit erntete ich allenthalben Gelächter. Ich faßte in meine Jackentasche, zog eine Handvoll Karten hervor und gab jedem eine. »Fred Underhill«, sagte ich, »Vereinigte Versicherungen, Los Angeles.« Als die behäbigen Farmer nicht beeindruckt schienen, ließ ich die Bombe platzen: »Lesen Sie überhaupt die Zeitungen aus Los Angeles?«
»Hab’ kein’ Grund dazu«, sagte der große Mann.
»Warum?« fragte der mit den buschigen Augenbrauen.
»Was hat das mit dem Käsepreis in Wisconsin zu tun?« fragte ein dritter.
Das war mein Stichwort: »Ein Mädchen aus Tunnel City wurde letzten Monat in Los Angeles ermordet. Marcella DeVries. Verehelichte Harris. Der Mörder wurde noch nicht gefunden. Ich untersuche einen Erbanspruch und arbeite mit der Polizei von L.A. zusammen. Marcella war vor vier Jahren hier und kann danach noch einmal hier gewesen sein. Ich muß mit Leuten reden, die sie gekannt haben. Ich möchte den Hurensohn kriegen, der sie umgebracht hat. Ich...« Ich ließ meine Stimme verhallen.
Die Männer starrten mich ausdruckslos an. Ihre Ausdruckslosigkeit verriet mir, daß sie Marcella DeVries kannten und über ihre Ermordung nicht überrascht waren. Ihre unbewegten Gesichter verrieten mir auch, daß Marcella DeVries für sie eine Anomalie war, weit jenseits ihres Kleinstadt-Horizonts.
Keiner sagte ein Wort. Die andere Gruppe Traktorverehrer hatte in ihrer Unterhaltung innegehalten und starrte mich an. Ich deutete auf ein dreigeschossiges weißes Gebäude über der Straße, an dem ein Schild angebracht war: »Badger Hotel - stets saubere Zimmer«.
»Sind die Zimmer da wirklich immer sauber?« fragte ich meine gespannten Zuhörer.
Keiner antwortete.
»Da werde ich bleiben«, sagte ich. »Wenn einer von Ihnen mit mir reden möchte, oder jemanden kennt, der reden möchte, dort bin ich zu finden.«
Ich verschloß meinen Wagen, holte meinen Koffer aus dem Kofferraum und ging ins Badger Hotel.
Vier Stunden lang lag ich in meiner Unterwäsche auf meinem sauberen Bett und wartete auf den Ansturm der Farmer, die erpicht waren, detaillierte Berichte über jeden Aspekt des Lebens von Marcella Harris zu geben. Niemand rief mich an oder klopfte an meine Tür. Ich kam mir vor wie der Sheriff, der eine Stadt von Gangstern befreien soll und unerklärlicherweise von den Bürgern gefürchtet wird.
Ich sah auf meine Uhr: halb sechs. Die Hitze und die drückende Schwüle ließen langsam nach, also raffte ich mich zu einem Spaziergang auf. Ich zog mir Hose
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