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Heimlich

Heimlich

Titel: Heimlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Ellroy
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Weihnachtsmann kann mich am Arsch lecken.« Er kicherte über seinen eigenen Witz. Ich lachte mit ihm.
    »Ein altkluger Junge«, bemerkte Doc trocken vom Rücksitz.
    »Wie sein Vater?«
    »Ganz wie sein Vater. In mancherlei Hinsicht. Ich nehme an, wir bleiben hier?«
    »Stimmmen wir ab. Mike?«
    »Ja.«
    »Doc?«
    »Warum nicht?«
    Ich holte eine große Papiertüte voller Sandwiches und eine große Thermoskanne mit Eistee aus dem Kofferraum, und wir bummelten durch die kleine Stadt. Ich hatte recht - die Gebäudefassaden waren Studiokulissen: das Gefängnis von Dodge City, Millers Kramladen, Diamond Jims Saloon und das Ballhaus. Nur die Dächer waren noch intakt - die Fassaden waren herausgerissen und durch Gitter ersetzt worden, hinter denen sich ausgemergelte wilde Tiere ausruhten. Im Gefängnis von Dodge City wohnten zwei abgemagerte Löwen.
    »Der König der Tiere«, murmelte Doc, als wir an ihnen vorbeigingen. »Ich bin der König der Tiere«, erwiderte Michael, der neben mir und vor seinem Vater ging.
    In Diamond Jims Saloon befand sich ein aufgedunsener Elefant. Er lag wie im Koma auf einem Zementboden, der mit Exkrementen bedeckt war.
    »Sieht aus wie ein gewisser Republikaner, den ich kenne«, sagte ich.
    »Sei vorsichtig!« krähte Michael. »Daddy ist Republikaner und er versteht da keinen Spaß!« Michael fing an zu kichern und lehnte sich an mich. Ich legte meinen Arm um ihn und drückte ihn fest.
    Zuletzt hielten wir, bevor wir zum Picknickgelände kamen, vor »Diamond Lils geselligem Treffpunkt«, zweifellos ein Euphemismus für »Puff«. Diamond Lil und ihre Mädchen waren nicht anwesend. Häßliche, schwatzhafte Paviane mit rosa Gesichtern waren statt dessen da.
    Michael riß sich von meinem Arm los. Er fing an zu zittern, wie in der Kneipe vor zwei Tagen. Er hob große Dreckklumpen vom Boden auf und schleuderte sie mit voller Wucht auf die Paviane.
    »Ihr Scheiß-Säufer, ihr dreckigen!« schrie er. »Ihr ekelhaften, dreckigen, gottverdammten Säufer!« Er ließ noch eine Ladung Dreck los und wollte wieder schreien, aber er brachte kein Wort heraus. Das Geplapper der Tiere im Käfig steigerte sich zu einer kreischenden Kakophonie.
    Michael bückte sich, um noch mehr Munition aufzuheben, da packte ich ihn an den Schultern. Als er sich wand, um sich zu befreien, sagte Doc besänftigend: »Sachte, Junge. Sachte, mein Kleiner, wird schon alles gut werden, Michael, sachte...«
    Michael rammte mir seinen knochigen Ellbogen in den Magen. Ich ließ ihn los, und er jagte wie eine Antilope in Richtung Picknickplatz. Ich gab ihm einen ordentlichen Vorsprung, dann folgte ich ihm. Er rannte so schnell er konnte, und ich wußte, er würde in diesem Zustand laufen, bis er zusammenbrach.
    Wir rannten durch das Wäldchen in einen Miniatur-Canyon, der mit Kiefern bestanden war. Plötzlich ging es nicht weiter. Michael fiel einer großen Kiefer zu Füßen und umgriff sie heftig mit seinen dünnen Armen. Er wiegte sich auf den Knien. Als ich näher kam, konnte ich ein heiseres Winseln aus seiner Kehle aufsteigen hören. Ich kniete mich neben ihn, legte ihm meine Hand beruhigend auf die Schulter und ließ ihn weinen, bis er allmählich den Baum losließ und mich umarmte.
    »Was ist los, Michael?« fragte ich sanft und fuhr ihm durchs Haar. »Was ist los?«
    »Sag Mike zu mir«, schluchzte er. »Ich möchte nicht mehr Michael genannt werden.«
    »Mike, wer hat deine Mutter umgebracht?«
    »Ich weiß es nicht!«
    »Hast du schon mal von jemand gehört, der Eddie Engels heißt?«
    Michael schüttelte den Kopf und grub ihn noch tiefer in meine Brust.
    »Margaret Cadwallader?«
    »Nein«, schluchzte er.
    »Mike, kannst du dich daran erinnern, wie ihr im Hibiscus Canyon gewohnt habt, als du fünf Jahre alt warst?«
    Mike schaute mich an. »J-ja«, sagte er.
    »Erinnerst du dich an die Reise, die deine Mutter gemacht hat, während du dort gewohnt hast?«
    »Ja!«
    »Pssst. Wo fuhr sie hin?«
    »Ich ... weiß nicht...«
    Ich half dem Jungen auf die Beine und legte meinen Arm um ihn. »Fuhr sie nach Wisconsin?«
    »Ich glaube. Sie brachte diesen ganz schmierigen Käse und das stinkige Sauerkraut mit. Diese gottverdammten deutschen Hurensöhne.«
    Ich hob das Kinn des Jungen von seiner Brust. »Bei wem warst du, während sie weg war?«
    Mike wand sich von mir los und blickte zu Boden.
    »Sag’s mir, Mike.«
    »Ich wohnte bei diesen Nachtvögeln, mit denen meine Mutter verkehrte.«
    »Waren die gut zu dir?«
    »Ja. Das waren

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