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Heimlich

Heimlich

Titel: Heimlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Ellroy
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Jahren geschrieben hatte.

5 WISCONSIN-WELCH
19
    Von meinem Fenster aus konnte ich sehen, wie die Propeller ihren Weg durch eine aufgetürmte Wolkenbank über dem Pazifik mahlten. Das Flugzeug beschrieb dann einen Bogen nach links und begab sich auf eine lange Reise ins Innere Amerikas, das ich noch nie gesehen hatte: zuerst Chicago, dann ein Anschlußflug ins südliche Wisconsin, der Heimat von Margaret Cadwallader und Marcella DeVries Harris.
    Als wir Kalifornien, Arizona und Nevada hinter uns gelassen hatten, richtete ich meinen Blick von der dürren Landschaft auf das Surren der Propeller und wurde durch die kreisende Bewegung hypnotisiert. Nach einer Weile fand ein Prozeß der Synchronisation statt: Meine Gedanken liefen in perfekten, logischen, chronologischen Kreisen und in thematischem Gleichklang: Marcella DeVries wurde 1912 in Tunnel City, Wisconsin, geboren. Tunnel City lag fünfundachtzig Meilen von Waukesha entfernt, wo Maggie Cadwallader 1914 geboren wurde. Zwei Jahre und fünfundachtzig Meilen auseinander.
    »Ich bin nur ein Bauernmädchen aus Wisconsin«, hatte Maggie mir gesagt. Sie war auch hysterisch geworden, als sie meine Freizeit-Kanone gesehen hatte. »Nein, nein, nein, nein!« hatte sie geschrien. »Du darfst mir nicht weh tun! Ich weiß, wer dich geschickt hat!«
    Sechs Monate später war sie tot, in demselben Schlafzimmer erwürgt, in dem wir uns geliebt hatten. Der Zeitpunkt ihres Todes fiel mit Marcellas plötzlichem Aufbruch ins Unbekannte zusammen.
    »Schau heimwärts, Engel«, hatte Marcella ihrer Nachbarin, Mrs. Groberg, gesagt.
    An »schmierigen Käse und stinkiges Sauerkraut« hatte sich ihr Sohn erinnert - Einwanderer-Essen aus dem Staate Wisconsin, in dem Deutsche, Holländer und Polen dominierten.
    Eine hübsche Stewardess brachte mir Kaffee, aber zum Dank erhielt sie nur ein zerstreutes Murren. Ich starrrte auf den Propeller, der mir am nächsten war, sah zu, wie er die Luft zerschnitt und fühlte eine sich vertiefende Symbiose von Gegenwart und Vergangenheit und eine weitere Entfaltung der Logik. Eddie Engels und Janet Valupeyk hatten sich geliebt. Eddie hatte eine Geschichte mit Maggie Cadwallader gehabt. Eddie hatte Janet im Frühsommer 1951 gesagt, sie sollte die Wohnung im Hibiscus Canyon an Marcella Harris vermieten. Das alles mußte zusammenhängen, es paßte vollkommen zusammen.

    Als das Flugzeug in Chicago gelandet war und ich wieder festen Boden unter den Füßen hatte, entschloß ich mich, meine Pläne zu ändern. Ich mietete einen Wagen und fuhr die dreihundert Meilen nach Wisconsin. Ich suchte mir bei einem Verleiher einen zuverlässig aussehenden Ford aus und fuhr los. Es dämmerte langsam und es war noch sehr heiß. Vom Lake Michigan kam eine Brise herüber, die sich redlich, aber vergeblich bemühte, für Abkühlung zu sorgen.
    Ich fuhr ins Herz der Stadt, sah den frühabendlichen Touristen und Schaufensterbummlern zu und wußte nicht, was ich eigentlich suchte. Als ich bei einem Schnelldrucker an der North Side vorbeikam, wußte ich, daß ich dahin wollte. Ich ging hinein und erwarb für fünf Dollar gedruckte Protektion; zweihundert getürkte Visitenkarten, auf denen mein richtiger Name und eine vornehm klingende Adresse in Beverly Hills sowie eine Telefonnummer stand.
    In einem nahe gelegenen Kramladen kaufte ich mir drei einigermaßen realistisch aussehende Marken, die mich als »Hilfssheriff«, »Polizei-Stenografen« und »internationalen Ermittler« auswiesen. Als ich die letzte genau überprüfte, warf ich sie aus dem Wagenfenster - sie sah genauso aus wie die Beigabe einer Cornflake-Packung. Aber die anderen sahen echt aus, meine Visitenkarten sahen echt aus, und die 38er Automatic in meinem Koffer war echt. Ich fand ein Hotelzimmer auf der North Side und ging früh ins Bett; ich hatte ein heißes Rendezvous mit der Geschichte und ich wollte dafür ausgeruht sein.
    Der Süden Wisconsins erstrahlte in jedem nur vorstellbaren Grün. Ich überquerte die Grenze zwischen Illinois und Wisconsin um acht Uhr morgens, verließ die breite, achtspurige Autobahn und bewegte meinen 52er Ford auf schmalen geteerten Straßen nach Norden, durch Milch- und Farmland, das alle paar Meilen von kleinen Seen unterbrochen wurde.

    Ich verpaßte Tunnel City beinahe, weil ich das Ausfahrtsschild erst im letzten Moment erblickte. Ich fuhr eine heiße Rechtskurve und kam auf eine zweispurige Straße, die mitten durch ein riesiges Kohlfeld führte. Nach einer halben Meile

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