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Heimlich

Heimlich

Titel: Heimlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Ellroy
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hoch. Dann holte Dick unsere acht kaputten Typen aus dem Knast. Einen nach dem anderen ließen wir sie die Tote anschauen. Eines dieser Ekelpakete war ein Messerstecher; er war schon ein dutzendmal wegen Stechereien verhaftet worden. Ich gab ihm ein Schlachtermesser in die Hand und befahl ihm, die Leiche aufzuschlitzen. Er brachte es kaum fertig. Er hatte nicht das Zeug dazu. Der nächste Drecksack war ein Kinderschreck, der gerade auf Bewährung aus Atascadero kam. Er machte sich immer an die kleinen Mädchen ran und fragte sie, ob er ihre Geschlechtsteile küssen dürfte. Ich befahl ihm, die Geschlechtsteile des toten Mädchens zu küssen und das tote Fleisch aus der Nähe zu beschnüffeln. Er schaffte es auch nicht. Und so weiter und so fort. Ich wollte eine Reaktion haben, die so böse, so unaussprechlich gemein war, daß ich wissen würde, wer das Dreckstück wäre, das Betty Short getötet hatte.«
    Ich war schockiert. Meine Hände drückten so hart auf das Lenkrad, daß ich dachte, ich würde es nach draußen stoßen. Schließlich brachte ich mit brüchiger Stimme heraus: »Und?«
    »Und, mein Junge, ich behielt sie da, die ganze Nacht, und befahl ihnen, die Leiche anzuschauen. Ich schlug sie, und Dick schlug sie, und wir ließen sie das tote Mädchen küssen und befummeln, während wir sie verhörten.«
    »Und?«
    »Und, mein Junge, keiner von ihnen hat die schöne Betty getötet.«
    »Gott im Himmel«, sagte ich.
    »Ah ja. Gott im Himmel. Ich hab’ das Monster nicht geschnappt, das die Dahlie getötet hat, mein Junge. Im innersten meines Herzens weiß ich, daß niemand den Mörder schnappen wird. Ich brachte die junge Tote zurück ins Leichenschauhaus, wo sie verbrannt wurde. Sie war ein einsamer Mensch, der unwissentlich durch seinen Tod der Gerechtigkeit diente. Am nächsten Morgen ging ich zur Beichte. Ich erzählte dem Pater, was ich getan hatte, und bat um Absolution. Die bekam ich. Dann ging ich nach Hause und betete zu Gott und zu Jesus und zu der Heiligen Jungfrau. Ich bat um die Kraft, es wieder und wieder zu tun, wenn es sein mußte, im Namen der Gerechtigkeit und der Kirche.«
    Wir kamen nach Hollywood. Ich hielt an der Ecke Crescent Heights und Sunset Strip. Ich starrte in Dudleys rosiges, dämonisches Gesicht. Er starrte zurück.
    »Und, mein Junge?« äffte er mich nach.
    »Und was, Dudley?« bekam ich gerade noch raus.
    »Und du glaubst, daß Dudley verrückt ist, nicht wahr?«
    »Nein, ich glaube, Sie sind ein großartiger Schauspieler.«
    »Hahaha! Gut gebrüllt. Ist ›Schauspieler‹ ein Euphemismus für ›Irrer‹, mein Junge?«
    »Nein, manchmal glaube ich nur, Sie wissen nicht, welche Rolle Sie gerade spielen.«
    Die winzigen, braunen Augen eines Raubtiers bohrten sich in mich. »Junge, all meine Rollen spiele ich im Namen der Gerechtigkeit, und all meine Rollen bin ich selbst. Vergiß das nicht.«
    »Sicher, Dudley.«
    »Und, mein Junge, glaub nicht, daß ich dich nicht kenne. Glaub nicht, daß ich nicht weiß, für wie klug du dich hältst. Glaub nicht, ich hab’ nicht bemerkt, wie du es genossen hast, mich vor diesem Brubaker dumm anzuquatschen. Glaub nicht, ich weiß nicht, für was für einen Hurensohn du mich hältst. Hahaha! Genug getrauert und gezankt, mein Junge, fahr mich in die Stadt, und nimm dir für den Rest des Tages frei.«
    Ich ließ Dudley vor dem Hauptquartier an der Los Angeles Street raus. Wir schüttelten uns die Hände. »Morgen, mein Junge. Acht Uhr im Hotel. Wir gehen unser Beweismaterial durch und überlegen, wann wir uns den schönen Eddie schnappen.«
    »Alles klar, Dudley.«
    Er quetschte meine Hand, bis ich ihm mit einem Winseln dankte, dann winkte er mir zu und ließ mich zurück, um über Wahnsinn und Erlösung nachzusinnen.

    Vier Stunden mußte ich noch bis zu meiner Verabredung mit Lorna totschlagen. Ich fuhr nach Hause, schrieb einen detaillierten Bericht über meine Verwicklung in den Fall Margaret Cadwallader und steckte ihn in einen großen, braunen Umschlag. Ich verschloß ihn gründlich, dann fütterte ich Night Train, zog mich um und rasierte mich ein zweites Mal. Auf meinem Weg in die Stadt hielt ich an einem Blumenladen, wo ich Lorna ein Dutzend langstielige, rote Rosen kaufte. Die erinnerten mich irgendwie an das tote Mädchen, dessen ewige Ruhe Dudley Smith so niederträchtig gebrochen hatte. Ich hatte ein wenig Schiß, aber der Gedanke an Lorna wischte meine Angst vom Tisch und verwandelte sie in eine merkwürdige Mischung aus Hoffnung

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